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III.
Buch.
in Deutschland.
Renaissance
ernsteren Zeitgenossen beklagt und scharf getadelt wurde. Sogar
in mancher Inschrift auf den alten gemalten Oefen erfährt diese
Unsitte eine Rüge. Eine solidere Bereicherung ihres Wohlstandes
gewann die Schweiz in Folge des langen Friedens durch den
Aufschwung, welchen Handel und Gewerbe nahmen. Ein starker
Verkehr mit Italien fand noch immer statt; der Leinwandhandel
St. Gallens blühte; im Seidengewerbe hatte Zürich selbst den
oberitalienischen Städten lebhafte Concurrenz bereitet. Besonders
aber gewann die Schweiz als Durchgangsgebiet der italienischen
Waaren nach den nördlichen und westlichen Ländern Erhebliches
an Abgaben und Zöllen. 1) Mit vollem Eifer wandte man nun
im Sinne der Zeit das Erworbene auf glänzende Ausstattung des
gesammten Lebens, und die Kunst, aus dem Dienste der Kirche
grossentheils entlassen, giebt sich der Ausstattung des Wohn-
hauses und der öffentlichen städtischen Gebäude hin. In der
Schweiz kommt in Folge der laolitischen und sccialen Verhält-
nisse die Kunst dieser Zeit zum ersten Mal zu einer rein bürger-
lichen Stellung. Sie baut und schmückt das städtische Rathhaus,
die Schützensäle und die Zunftstuben, das Wohnhaus des reichen
Bürgers und des wohlhabenden Landmannes. Von dem präch-
tigen Eindruck der damaligen Schweizerstädte giebt Michel de
Montaigne eine lebendige Schilderung. Er rühmt die breiten
Strassen, die ansehnlichen, mit Brunnen geschmückten Plätze. i)
Die Städte seien schöner als die französischen, die Facaden der
Häuser mit Gemälden bedeckt, das Innere der Wohnungen durch
Glasgemälde, prachtvolle" Oefen und glasirte Fussböden ausge-
zeichnet. 3) Auch die trefflichen Eisenarbeiten sind ihm nicht
entgangen.
Obwohl im Einzelnen auch hier noch sehr lange an mittel-
alterlichen Formen festgehalten wird, gothische Portale und an-
dere Details selbst noch im 17. Jahrhundert vorkommen, z. B.
an mehreren Privathäusern in Luzern 4) und am Gemeindehause
zu Näfels, tritt doch die Renaissance hier so früh auf wie kaum
in den übrigen deutschen Gebieten. Nicht bloss die nahen und
häufigen Berührungen mit Italien führten dazu, sondern auch
das Wirken mehrerer tüchtiger Künstler, wie Urs Graf, Hans
Holbein, Niclas Manuel, die grade hier zuerst dem neuen Stil
Bahn brachen. Zunächst hat dieser dann in den bemaltenFaca-
1) Ueber diese Verhältn. vgl. die treffliche Schweizer Chronik von Joh.
Stumpif. Zürich 1548. fol. 2) M. de Montaigne, Journal de voyage I,
D; 44- 3) Ebenda I, p. 35. 4) W. Lübke, Gesell. der Architektur
IV Aufl. S. 583. Man findet Datirungen von 1618 u. 1624.