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III. Buch.
Renaissance in Deutschland.
Allgemeiner Theil.
dass man es mit einer bedeutenden kunsthistorischen Erschei-
nung {zu thun hat. Vergessen wir nicht, dass trotz aller Aus-
schreitungen im Einzelnen wir hier zum ersten Male eine Ver--
schmelzung des germanischen und antiken Kunstgeistes haben,
die zu Anfang des Jahrhunderts in den Meisterwerken unserer
grossen Maler hervortritt und in den architektonischen Schöpfun-
gen dann zum unmittelbaren Ausdruck des gesammten Lebens
wird. Und ferner: jene Bauten zeigen das gesammte Kunsthand-
werk auf seiner Höhe im Wetteifer bemüht, das Innere und
Aeussere harmonisch auszustatten und den Räumen den Reiz
häuslichen Behagens zu geben. Der Schmied und Schlosser mit
seinen kunstreichen Gittern, Thürbeschlägen und mannigfachen
kleineren Werken, der Schreiner mit seinen geschnitzten und ein-
gelegten Schränken, Truhen, Tischen, Kredenzen und Sesseln,
mit den dunklen Täfelungen der Wände und dem reichen Schnitz-
werk der Decken, der Hafner mit den farbenreichen Oefen und
den Fliesen der Wände und des Fussbodens, mit den bildwerk-
geschmückten Geräthen, den Krügen und Pokalen, der Gold-
schmied und der Zinngiesser mit den zahlreichen blitzenden
Gefässen zum Prunk und zum täglichen Gebrauch, endlich der
Teppichwirker, Maler, Glaser, Stuckator und Bildhauer, sie alle
wetteiferten, jenen unvergleichlichen Gesammteindruck künstlerisch
geadelten häuslichen Behagens hervorzubringen.
Noch um 1600 pulst es in der deutschen Renaissance vom
üppigsten Leben und von jener kraftvollen Originalität, die in so
unbekümmert naiver Art kaum irgendwo noch vorkommt. Die
weitere Ausführung dieses Bildes haben wir nunmehr zu ver-
suchen, und da die individuelle Mannigfaltigkeit viel starker ist
als der Zug der geschichtlichen Entwickelung, so müssen wir
die Anordnung nach lokalen Gruppen dabei zu Grunde legen.