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111. Buch. Die Renaissance in Deutschland.
Theil.
Allgemeiner
Gepräge mittelalterlicher Burgen. Die Zufälligkeiten des Terrains
und der historischen Entwicklung werden mit Vorliebe betont,
Thürme und gesonderte Treppenanlagen behalten ihr Recht, Wall
und Graben endlich und die übrigen Vertheidigungswerke des
Mittelalters bleiben in Kraft, obwohl letztere bald zu einer blossen
Form her-absinken und bei dem Umschwung, den die Feuer-
waffen in die Kriegführung bringen, ihre Bedeutung immer mehr
verlieren. Aber in Frankreich kommt neben der feudalen Tra-
dition bald ein neues Kulturelement auf, der Adel wird zu-
sehends Hofadel, findet seinen Mittelpunkt" in der Umgebung der
Könige, und so entfaltet sich allmählich ein feineres gesellschaft-
liches Leben, dessen Gewohnheiten sich alsbald im Sehlossbau
ausprägen. Wenn daher die Schlösser dort die Aeusserlichkeiten
der mittelalterlichen Anlage noch eine Weile behalten, so voll-
zieht sich doch innerlich eine Umgestaltung des Grundplans,
welche auf gewisse Uebereinstimmungen in den Lebensgewohn-
heiten deuten. Die Theilung' des Ganzen in zwei selbstitxidigr-z,
aber verbundene Gruppen, die sich um einen ausseren Wirth-
sehaftshof (basse-cour) und einen inneren Herrenhof (eour (l'hom-
neur) zusammenschliessen, ist ein Grundzug dieser Sehlossbauten.
Mit der den Franzosen eigenthümliehen Vorliebe für feste Re-
geln werden diese Grundelemente der Anlage überall, wenn auch
bisweilen nur im Kleinen, wiederholt. In der innern Eintheilung
der Haupträume macht der grosse, weite Rittersaal des Mittel-
alters den aus Italien eingeführten langen Galerien, Platz, die
mit allem Pomp italienischer Malerei und Stuckatui- ausgestattet
werden. Für die äussere Erscheinung dieser Schlösser sind an-
fangs noch auf den Ecken die runden Thürme des Mittelalters
bezeichnend, bald jedoch verwandeln sich diese in viereckige
Pavillons, die mit ihren hohen Walmdaehern oder geschweiften
kuppelartigen Bedaehungen den Bau kraftvoll gliedern. Die
Treppen werden noch überwiegend als Wendelstiegen in poly-
gonen, meist durchbrochenen Treppenhäusern angelegt. Die
langen Linien der Dächer erhalten durch zahlreiche aufgesetzte
Giebel mit zierlichen, zuerst noch gothisirenden Formen eine
Unterbrechungn
Delfßleütsßlle Schlossbau theilt gewisse uGrundzügwa mit dem
französischen: die unregelmässige mittelalterliche Anlage, bis-
weilen auch die runden Eekthürme, die scIbständigenWWendel-
treppen mit ihren Stiegenhäusern. Aber da hier die Herrschaft
Deines döminirenden Hofes fehlte, so bildete sich nicht eine so
gleichförmige Gewohnheit des höfisehen Lebens aus; man blieb
vielmehr noch lange in mittelalterlichen Sitten befangen, und