ALLGEMEINER
THEIL.
Kapitel.
Die
Renaissance
des
deutschen
Geistes.
,O Jahrhundert, die Geister erwachen, die Studien blühen:
es ist eine Lust zu leben!" Mit diesem Jubelruf begrüsst Ulrich
von Hutten das Zeitalter der Renaissance in Deutschland. Und
in der That: eine gewaltigere Epoche tiefer Erregung, völliger
Neugestaltung hat das deutsche Volk nimmer gesehen. Das
Mittelalter, das in Italien schon seit dem Beginn des 15. Jahr-
hunderts der neuen Zeit gewichen war, hatte sich im Norden, zu-
mal in Deutschland, noch hundert Jahre länger zu erhalten ver-
mocht. Allerdings war auch hier die ganze Zeit erfüllt von dem
mannichfachen Streben, mit den alten Vorurtheilen und Einrich-
tungen aufzuräumen, an Stelle der verknöcherten Vorstellungen
des Mittelalters, seiner dumpfen Dogmengläubigkeit, seiner ver-
trockneten Scholastik die lebensfrischen Anschauungen einer neuen
Zeit, das Studium des klassischen Alterthums, die tiefere Erkennt-
niss der Natur und der Menschenwelt zu setzen: aber noch zu
mächtig hielt, so morsch er auch sein mochte, der complicirte,
tausendfältig verschlungene Bau des mittelalterlichen Staats- und
Kirchenwesens zusammen. Als es endlich in Deutschland gelang
ihn in Trümmer zu schlagen, sollte dies denn auch gerade hier
vollständiger, durehgreifender geschehen, als irgend anderswo.
Es war bestimmt, dass Italien die Welt einer neuen klassischen
Formenschönheit entdecken sollte; Deutschland aber war es vor-
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