Kap. IV.
Theoretiker.
Die
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mann sie nach dem Unterschied derselben verändert und mit
Lieblichkeit zu gebrauchen wisse." Denn die richtige symme-
trische Austheilung der fünf Säulen werde wenig mehr observirt,
da ein Jeder nach Gutdünken mit wunderbar-lieber und übel-
ständlieher Oonfusion und Vermischung der untersehiedenen Arten
eine neue Manier iingirt habe. Man könne aber nicht immer "auf
einer Geigen liegen", sondern müsse vielmehr die Lieblichkeit
aus der Variation und mannigfaltiger Veränderung suchen. So
geht er nun die fünf Säulenordnnngen durch und giebt bei jeder
derselben in den Postamenten, den Saulenschaften, Basen, Ka-
pitälen, Friesen, Gesimsen und Consolen eine solche Mannig-
faltigkeit von Ornamenten, dass man auf den ersten Blick die
absolute Willkürherrschaft zu sehen glaubt, bis man zur Erkennt-
niss kommt, dass ein bestimmtes Gesetz dem Ganzen doch zu
Grunde liegt, welches die Gestaltung des Einzelnen je nach dem
Charakter der verschiedenen Stile beherrscht. Gleichwohl ist
nie Barockeres erdacht werden, und wenn man die strömende
Fülle der Erfindungsgabe anerkennen muss, so wird man zugleich
nur durch die Erwägung beruhigt, dass das Papier geduldig ist
und dass glücklicherweise die Wirklichkeit aus guten Gründen
hinter diesen ausschweifenden Phantastereien zurückbleiben musste.
Am ungebundensten bewegt sich seine Phantasie in den Pilaster-
Hermen, welche er jeder Saulenordnung beigiebt. Bei der tos-
kanisehen, die er einem groben Bauern vergleicht, zeigt der
Pilaster wirklich die Gestalt eines Bauern, der aber mit Schurz-
fell, Winterkappe, Faustlingen und schliesslich mit einer hölzernen
Weinbütte so umkleidet ist, dass nur die Füsse mit ihren Holz-
schnhen und der Kopf, der als Kapital ein Handfasstragt, her-
ausschauen. Es erscheint nicht bedeutungslos, dass Dietterlein
sich ausschliesslich als Maler bezeichnet, denn solcher Naturalis-
mus ist eher auf Rechnung des Malers als des Architekten zu
Setzen. Unwillkürlich werden wir an die verwandten Phantaste-
reien erinnert, welche wir bei Dürer (vgl. S. 137) fanden. Der
iieissige Dietterlein liess im folgenden Jahre eine Fortsetzung
SeineS Werkes erscheinen, welche Portale, Thüren, Fenster,
Brunnen und Epitaphien behandelt. Das ganze Werk erfreute
sich solchen Beifalls, dass es schon 1598 zu Nürnberg in ver-
mehrter und verbesserter Auflage erschien. Sie umfasst 209 Blät-
ter und enthält allerdings, was irgend der üppigste Barocco er-
sinnen mochte. Keine noch so ausschweifende Form, die sich
hier nicht bereits fände. Das Ueberschneiden, Ausbiegen, Ab-
brechen, Durchziehen aller erdenklichen Formen, das Verknüpfen
von Vegetabilischem, Figürlichem, von geschweiften und geschnür-