Volltext: Geschichte der deutschen Renaissance (Bd. 5)

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III. Buch. 
Renaissance in Deutschland. 
A. Allgemeiner Theil. 
Belehrung zu erhalten hofft, haben wir wiederholt gesehen. Den 
Vitruv muss er zeitig zu Gesicht bekommen haben, denn wir 
wissen aus seinen eigenen Mittheilungen, wie er darin gelesen 
und seine ersten Vorstellungen von den Verhältnissen des mensch- 
lichen Körpers aus ihm geschöpft hat. 1) Eine lateinische Ausgabe 
des Euklid besass er ebenfalls in einem Exemplar, welches gegen- 
wärtig sich in der Bibliothek zu Wolfenbüttel befindet. Die Re- 
sultate seines Nachdenkens und die Erfahrungen seines gesammten 
Lebens beabsichtigte der Meister in einem umfaggendgn tneore- 
tischen Werke nieder-zulegen, von welchem nur ein Theil zur 
Ausführung gelangt ist: die „Unterweisung der Messung mit 
Zirkel und Richtseheit" und die „Vier Bücher von menschlicher 
Proportion". Dazu kommt noch sein Werk über den Festungs- 
bau, welches ebenfalls von seinen vielseitigen Studien zeugt, für 
unsre Betrachtung jedoch von untergeordnetem Werthe ist. Wie 
gewissenhaft er die Vorbereitungen zu diesen grossen Arbeiten 
betrieb, sieht man nicht blos aus der Masse von Handzeichnungen 
und Entwürfen, hauptsächlich in der Bibliothek zu Dresden und 
im British Museum, sondern auch aus den zahlreichen hand- 
schriftlichen Redactionen zu den verschiedenen Abschnitten dieser 
Werke. Dürer's Kunstanschauung wird, so grosse Achtung er 
vor der Antike und den italienischen Meistern auch hat, wesent- 
lich bedingt durch die reichen Erfahrungen seines eigenen Lebens 
und Schaffens. Die feinste und liebevollste Beobachtung der Natur 
verbindet sich bei ihm mit einem grüblerischen Tiefsinn, der auf 
den Grund der Erscheinungen zu dringen sucht. Da wir der gelehr- 
ten Arbeit A. von Zahn's i) so gut wie erschöpfende Aufschlüsse 
über des Meisters Kunstlehre verdanken, so genügt es hier, das 
für den vorliegenden Zweck Erforderliche kurz herauszuheben. 
Der tiefste Respect vor der Natur ist es vor Allem, Wodurch 
Dürer's Anschauung sich als ein Kind der neuen Zeit bewährt. 
Wie er darüber oft geklagt, dass er in jungen Jahren dem 
Bunten und Phantastischen über Gebühr nachgegangen sei und 
erst spät die Erkenntniss von der einfachen Wahrheit und Schön- 
heit der Natur gewonnen habe, erfuhren wir schon durch eine 
Mittheilung hlelanchthonls. Die Natur gilt ihm bei reiferer Er- 
kenntniss als das höchste Vorbild. "Denn," sagt er einmal in 
seinem Proportionswerk, „wahrhaftig steckt die Kunst in der 
Natur; wer sie heraus kann reissen, der hat sie.   Aber je 
i)  v. Zahn's Aufsatz im I. Band der Jahrbücher für Kunstwissen- 
Schaft 5- 14-  2) Dii1'e1"sKunstlehre und sein Verhältniss zur Renaissance 
von Dr. A. v. Zahn. Leipzig 1866.
	        
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