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Buch.
III.
in Deutschland.
Renaissance
Allgemeiner
Theil.
Beweise von dem freien künstlerischen Sinne, der in den
Schöpfungen des damaligen Kunsthandwerks lebte. Fuss, Kuppe
und Deckel werden selbständig ausgebildet, und oft in wohl-
abgewogenem Verhältniss durchgeführt: der Fuss entweder hoch
und durch" scharf markirte plastische Gliederung in freiem
Rhythmus entwickelt, oder kürzer und einfacher, doch nicht
minder energisch profilirt (Fig. 14 und 15). Die Kuppe entweder
einfach in Becherform grade aufsteigend, nur mit Bildwerk ge-
schmückt oder gebuckelt, gerieft, mit vielen ein- und auswärts
gebogenen Flächen, das Ganze wieder mit getriebenen oder gra-
virten Ornamenten, mit Niellen, farbigen Emails und selbst mit
Edelsteinen verziert. Der Deckel zumeist iiaeh, aber mit freiem
Ornament geschmückt und von einem oft g-raziös in Blumenform
endigenden Knopf bekrönt. 1) Unermesslich ist sodann der
Schmuck, mit welchem man alle diese Geräthe ausstattete. Das
ganze Reich der Mythologie und Allegorie wurde in Contributioxr
gesetzt, und dazu noch üppiger Ptlanzenschmuck gefügt. Dies
vegetabilische Ornament aber fällt immer wieder in den blossen
Naturalismus zurück, wobei freilich die Virtuosität der Künstler
in subtilster Ausarbeitung der edlen Metalle sich bewunderns-
würdig zeigt. Aber nicht blos im freien 'l"reibcn und Ciseliren
und in geistreicher Gravirung- besteht der Schmuck dieser Arbei-
ten, sondern sie erhalten durch reiche Anwendung buntfarbiger
Sehmelzmalerei die höchste koloristische Wirkung, wozu endlich
noch das Feuer der verschiedenen Edelsteine sich gesellt. Eins
der glanzvollsten unter den erhaltenen Werken ist der berühmte
Tafelaufsatz von Wenzel Jamnilzer (1508-1585), jetzt im Bcsitz_
des Herrn Merkel in Nürnberg, neuerdings im Germanischen
Museum dort aufgestellt (Fig. 16). Aus einem naturalistisch
behandelten Unterbau von Felsen, welche mit Gräsern, Kräutern
und Blumen bedeckt sind, zwischen denen man Schildkröten,
Eidechsen, Schnecken und allerlei zierliche Insecten bemerkt,
erhebt sich die Gestalt der Mutter Erde als Karyatidc, auf dem
Haupte eine Vase mit den zierlichsten Blumen und Kräiutcrn
tragend. Darüber steigt eine weitausladende Schale, von Genien
unterstützt und ebenfalls mit buntem Blumenwerk, mit Schlangen
und Eidechsen bekrönt, empor. Aus ihrer Mitte endlich erhebt
sich eine elegante Vase mit einem hoch aufragenden Strauss
von Lilien, Glockenblumen und anderen Pflanzen, die mit wunder-
barer Zierlichkeit ausgeführt sind. Bei diesem Werke findet man
1) Ein schöner silberner Becher aus der städtischen Sammlung im Rath-
hause zu Nürnberg publicirt von A. Ortwein a. a. O. Bl. 9.