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III.
Buch.
Die Renaissance in Deutschland.
Allgemeiner Theil.
Entfaltung. Erst mit der Renaissance dringt die in Italien hei-
mische eingelegte Arbeit (Intarsia) bei uns ein, ordnet sich aber
meistens der Plastik unter. Bis tief ins 16. Jahrhundert bleibt
bei all diesen Werken die gothische 'l'radition in Kraft. Erst
nach 1550 zeigt sich auch hier die Renaissance, dann aber schon
mit barocken Elementen gemischt und nicht selten in arger
Ileberladung. Ein prächtiges Beispiel dieser Art geben" wir in
Figur 11 aus der Klosterkirche zu Danzig. Ist hier die Archi-
tektur fast ganz in phantastisches Bildwerk aufgelöst, so bieten
die Chorstühlein der Spitalkirche zu Ulm (Abb. im Kap. IX) ein
Beispiel edler Dekoration und maassvoller Gliederung. Ihnen nahe
verwandt ist das herrliche Chorgestühl in der Michaelshofkirche
zu München, das sich jedoch durch grössere Mannigfaltigkeit in
den Motiven der Ornamentik auszeichnet. Noch strenger sind
die Chorstiihle im Kapitelsaale des Doms zu lllainzß) bei welchen
sich der Schmuck auf die Untersätze der kannelirten ionischen
Pilaster und die Lehnen und Wangen der Sitze beschränkt.
Prächtige Chorstühle aus etwas späterer Zeit bßßitzt auch die
Klosterkirche zuWettingen in der Schweiz.
Mit aller Energie wirft sich dann diese 'I'echnik auf die
Ausstattung der Wohnräume. Zunächst sind es die Wände und
Decken der Zimmer, welche in gediegenster Weise mit hölzernem
Tafelwerk ausgestattet werden. Für die Decken hatte das Mittel-
alter an den einfachsten Grundzügen der Construction festgehalten
und die Balken sammt ihren Stützen und den Kopfbändern durch
freies Schnitzwerk ausgezeichnet. Diese Sitte erhält sich auch
während der Epoche der Renaissance, nur dass die Formen zum
Theil der Antike entlehnt werden. Ein schönes Beispiel dieser
Art bietet der Vorsaal im Rathhaus zu Rothenburg an der
'l'aubei- (Figlx), das prachtvollste aber der mächtige Vorsaal des
Rathhauses zu Sehweinfurt. Bald indess dringt auch hier der
antikisirende Stil durch, und die Decken werden nunmehr mit
einem reichen Kassettenwerk geschmückt, welchem die construc-
tive Grundlage nur als leichter Anhalt dient. Durch feinere oder
kräftigere Profilirung', durch reichere oder einfachere Ornamentik
stufen sich diese Decken nach dem verschiedenen Charakter der
Raume in mannigfaltiger Weise ab. Hand in Hand damit geht
die Ausstattung der Wandflachen, wo dieselben nicht etwa mit
Teppichen bekleidet werden. Ein System von Pilastern oder
Halbsaulen, ja an hervorragenden Punkten von frei heraustreten-
G
1) Herausgeg. von M.
logau. 1863. F01.
Nohl
und
Bogler
mit
Text
von W.
Lübke