Kap.
III.
Die Renaissance in
den
Kunstgcwerben.
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in diesen Regionen die gothischen Formen noch lange nach" mit
ihren schematischen Maasswerken und dem naturalistischen Laub-
ornament. Erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts etwa wendet
man sich auch hier, angeregt durch bahnbrechende Künstler,
dem neuen Stile zu: aber bis ans Ende der Epoche mischt Sißll
immer noch manches Mittelalterliche dabei ein. Besonders stecken
Naturalistik und Phantastik auch hierbei den deutschen Meistern
während dieser ganzen Zeit tief im Blute, so dass viel Barockes
und Willkürliches bei ihren Schöpfungen mit eintliesst. Gleich-
wohl nehmen dieselben grossentheils durch Mannigfaltigkeit del"
Erfindung, Gediegenheit der Arbeit, acht künstlerischen Sinn in
der Verwendung und Verbindung der Stoffe, meisterliche Virtuo-
sität in der Bearbeitung jeglichen Materials eine hohe Stellung
ein. Die Geschichte des deutschen Kunsthandrverks der Re-
naissance ist immer noch nicht geschrieben, obwohl sie zu den
interessantesten Aufgaben der Forschung gehört. In dem Rahmen
der gegenivartigen Darstellung; habe ich mich auf Andeutungen
zu beschränken, die zunächst nur die Entwicklung der künst-
lerischen Formen ins Auge fassen. 1)
sind grüsstenthcils die plastischen läleinkünstc, welche
hier in Betracht kommen; aber um jedes Missverständniss aus-
Zuschliessen, muss sogleich bemerkt werden, dass das abstracte,
auf die blosse Form gerichtete Wesen, welches die neuere Aesthetik
dem Sculpturwverk vindizirt, in jener Epoche wie in jeder frühern
grossen Kunstära ein Märchen ist. Der Reiz der Farbe gehört
so wesentlich zu allen Erscheinungen des Lebens, dass auch eine
lebensvolle Plastik ihn weder im Alterthum, noch im Mittelalter
und der Renaissance wenigstens der deutschen hat ent-
behren mögen. Wie die deutschen Sculpturwerke häufig bis ins
17. Jahrhundert an Farben und Goldschmuck Theil nehmen, so
tragen besonders sammtliche Werke der Kleinkünste, des Kunst-
gewerbcs das Gepräge einer reichen Polychromie. Wir haben
hier zunächst mit der Holzarbeit zu beginnen. Sie ist in
Deutschland seit dem Mittelalter überwiegend plastisch und hat
ihre glänzende Ausbildung in erster Linie im Dienste der Kirche
gewonnen. Nicht blos die zahlreichen Holzschnitzaltare, sondern
namentlich auch die Chorstühle gaben reiche Gelegenheit zur
1) Eine ileissige Zusammenstellung bietet H. Weiss im I-II Bde. seiner
Kostümkunde. Lieilö-IU. Dazu Fr. 'I'ra.ut1nann, Kunst u. Kunstgewerbe
Vom frühesten Mittelalter bis Ende des 18. Jahrhdrts. Nördlingen 1869.
lllusterliufte bildliche Darstellungen in den Publikationen v. Hefner-Alten-
ecke, besonders den Geräthschaften des Mittelalters und der Renaissance
und der Kunstkammer des Fürsten von Ilohenzollern in Sigmaringen.