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Erstes Buch.
Architectur.
sich Fenster und Pilaster in hohem Grade. Aus diesen und andern Ele-
menten entsteht ein Scheinorganismus, der im Detail aus dem Alterthum
entlehnt, in der Combination völlig neu ist und höchst wvahrscheinlich
als der bestmögliche Ausdruck für den Rhythmus der Massen, für die
Architectur der Proportionen betrachtet werden darf. Gemäss dem Gha-
racter der Zeit, welche das Individuelle auf das Höchste entwickelte, offen-
bart sich auch hier eine freie Vielgestaltigkeit, aber eine gesetzliche, von
aller Phantastik entfernte.
Ueber die Formen der Fenster und Pforten vgl. unten ä. 81.
39.
Rusticafassade von
Die
Florenz
und
Siena.
Der Herentinisehe Burgenbau aus Quadern wird von jeher die
Vorderseite der letztern in der Regel roh gelassen haben; es genügte die
genaue und scharfe Arbeit an den Kanten. Als die Burgen zu Palästen
wurden, behielt man diese sog. Rustica bei, und das Gebäude war
damit als ein adliches oder öffentliches bezeichnet (Fig. 9). Mit der
Zeit gesellte sieh hiezu Absicht und künstlerisches Bewusstsein, und
so wurde der florentinisehe Palast ein gewaltiges Steinhaus, dessen
Eindruck auf Wenigkeit und Mächtigkeit der einzelnen Elemente beruht.
Die stolze Festigkeit dieser Fassaden und ihre Wirkung auf die Phan-
tasie. Ihre Vornehmheit: non esser cosa civile, vgl. ä. 9, bei Anlass des
Pal. Strozzi.
Nach einer Rechtfertigung aus unfertigen, irrig für vollendet gehal-
tenen Römerbauten (Porta maggiore in Rom, Amphitheater von Pola
und Verona etc.) sah sich erst das XVI. Jahrh. um; die Frührenaissance
behandelte "die Rustica ohne alle künimerliche Rücksicht auf Rom als
Hauptausdrucksmittel des mächtigsten monumentalen Willens und machte
damit erst recht einen wahrhaft römischen Eindruck.
Die wichtigsten florentinisehen und sienesischen Paläste sind die-
jenigen mit Rustica ohne Pilaster. Die Rustica in ihren verschiedenen
Abstufungen, je nach den Stockwerken und auf andere Weise, ist hier
ein freies, nach Belieben verwendbares Element der Kunst geworden.
Den einzigen grossen Gegensatz bildet das Kranzgesimse, neben welchem
jedoch ein weit vortretcndes Sparrendaeh sich noch lange behauptet.
Vgl. ä. 91.
Ein Verzeichniss von 30 zwischen 1450 und 1478 erbauten Palästen
bei Varchi III, p. 107, worauf noch ein Nachtrag folgt, beweist die allge-
meine Verbreitung des Baugeistes. Von Michelozzo: der jetzige Pal.