Kapitel.
Die Composition
des Palastbaues.
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sein Werth liegt mehr in den glänzenden Einzelheiten (Biesentreppe, Scala
d'oro und einige Wenige Räume des Innern, welche noch ihre Ausstattung
aus dem XV. und beginnenden XVI. Jahrh. erhalten haben).
Die alten Procurazien in Venedig, für lauter Bureaux und Amts-
wohnungen, das Erdgeschoss für Buden, nach der Platzseite ein fort-
laufender Bau offener Hallen, wahrscheinlich weil die festliche Bedeutung
des Marcusplatzes keine geschlossenen Fassaden geduldet hätte. (Die
neuen Procurazien wiederholen dann das Motiv der Biblioteea, ä. 103,
mit Zuthat eines Obergeschosses. Vgl. auch ä. 114.)
Auch die Börsen, loggie de" rnercanti, nebst den Zunftgebäuden,
schliessen sich, wenn auch in kleinerni Massstab, dem Motiv der Stadt-
paläste an, indem auch hier eine untere Halle mit Treppe und Neben-
räumen, und ein oberer Saal für Versammlungen vorgeschrieben waren.
Vgl. das Project bei Serlio, L. VII, p. 116, und aus der gothischen Zeit
die Loggia de' niercanti zu Bologna. Bisweilen gehörte auch eine Gapelle
dazu, wo jeden Morgen ad devotionem et commodum mereatorum eine
Messe gelesen wurde. So im Palazzo della Mercanzia zu Siena, welcher
sammt der Capelle (Urk. v. 1416 bei Milanesi II, p. 82, vgl. p. 93) gegen
die Piazza hin schaut; auf der Rückseite gegen eine höher liegende Strasse
wurde diejenige Loggia angebaut, welche jetzt Casino de' Nobili ist.
103.
Sansovino
und
Palladio.
Wie schon in einigen der genannten Paläste das Längenverhält-
niss und die Zahl der Hallenbogen willkürlich ist, so wurde, an zwei
ganz exceptionellen Gebäuden, an Jacopo Sansovinds Biblioteca zu
Venedig und an Andrea Palladids Basilica zu Vicenza der Doppelhalle
als solcher, freilich in ihrer höchsten monumentalen Ausbildung, die
Herrschaft völlig überlassen.
Die Biblioteca S. 53. Es war eine ungerechte Kritik, wenn man
dem Gebäude verwarf, es sei zu niedrig für seine Länge, da dasselbe als
Hallenbau keine bestimmte Länge haben will. Der Architect aber gab
bei seiner Verantwortung statt diescs wahren _Grundes Scheingründe an,
vorausgesetzt, dass die Aufzeichnung des Sohnes (Franc. Sansovixio, Venezia,
fol. 115) das vom Vater Vorgebraclite genau Wiedergebe. Derselbe gab
z. B. ohne Noth zu, dass sein Bau im Vergleich mit dem Dogenpalast
niedrig, aber ohne Rücksicht auf denselben entworfen sei; denn der Dogen-
palast, welcher die Majestätder Republik darstellte, verlangte eine solche
Rücksicht allerdings, und zwar in Gestalt einer Unterordnung der Biblio-
teca. Dass die geringe Höhe durch die geringe Tiefe entschuldigt wird,