Die Caracci, ihre Zögl. u. Nachf. bis auf Cignani.
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werthe; man stellte die eigenen Arbeiten aus und musterte den
oder jenen Theil; und wer sein Werk nicht mit guten Grün-
den verliheidigte, durchstrich es ofort. Jedem stand frei die
Bahn zu wandeln, die ihm am meisten gefiel; ja, jeder wurde
zu dem Style angeleitet, wozu ihn die Natur trieb; daher
so viele ureigenthümliehe Behandlungsweisen aus Einem Arbeit-
saale hervorwucherten; jedoch musste Vernunft, Natur, Nach-
ahmung die Grundlage eines jeden seyn. Bei schwerem Be-
denklichkeiten wendete man sich an Lodovico; den tägli-
chen Uebungen im Zeichnen wohnten die Vettern bei, ämsige,
betriebsame, der Trägheit abholde Jünglinge. Selbst die Erho-
lungen der Akademiker förderten noch die Kunst; kleine Land-
schaften nach der Natur zeichnen, ein Zerrbild entwerfen,
waren die gewohnten Erholungen Annibale's und einer
Schüler w).
Der bereits früher angeführte Grundsatz, Naturbeobachtung
mit der Nachahmung der besten Meister zu verbinden, war der
earaecischen Schule eigen, wiewol sie ihn, wie wir schon
bemerkten, je nach den Naturanlagen bemassen. Sie hätten
gern alles Bessere anderer Schulen vereinigt; und dahin schlu-
gen sie zwei Wege ein. Der erste ist dem der Dichter ähnlich,
welche sich bei einzelnen Canzonen verschiedene Muster vorhal-
ten, und in einer zum Beispiel Petrarea, in einer andern
Chiabrera, in einer dritten Frugoni nachahmen. Der
zweite gleicht dem derer, welche die drei Style heherrschend in
einander verschmelzen und gleichsam Ein korinthisches Erz
aus mehrern andern bilden. Nicht anders pflegten die Ca-
racci in manchen ihrer Gebilde mehrere Figuren in verschie-
i
10) Ich bemerke, das die beiden jüngern Caracci auch in Rom
ihre Schüler noch auf dieselbe Weise zu üben fortfuhren. Pass eri
in Guido's Leben sagt, dass auch Gelehrte hinzutraten und manche
Geschichte zu zeichnen aufgaben, nicht ohne Belohnung derer, welche
sie am besten ausführtezi; und das, als einst Domenichino, der
einer der jüngsten war, Allen vorgezogen wurde, Guido zur leb-
haftesten Nacheiferung aufgeregt ward. Der Geschichtschreiber setzt
hinzu, dass man nachher in der römischen Schule dasselbe Verfahren
befolgte und der Card. Franc, Barherini, Urbans Vlll. Nelfe, bei
der Wahl des Ersteren sich verwendete, und mit seinem Gelde ihn
und die andern, die ihm amxnächstell kamen, bis zum vierten, be-
lnhnte; dem Ersten trug er sogar ein Gemälde des gezeichneten Ges-
genslandes auf. Wie fördert dies die Kunst! L.