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Ueber
Siyl
und
Manier.
selbst in den besten Füllen keinen durchgängig reinen Styl
besessen. Es erfolgten bald nach RaffaePs Tode zwei
Begebenheiten, welche den unmittelbarsten Einfluss auf die Um-
Wendung des ganzen italienischen Kunstlebens ausübten: der
Untergang der Republik Florenz, welche in Italien durch zwci
Jahrhunderte der Mittelpunet alles geistigen Lebens gewesen
war, und die Reformation, die zwar Italien nicht selbst betraf,
doch mannichfaltig auf den sittlichen Zustand dieses schönen
Landes zuriickwirkte. Es scheint, dass dieselbe Umgebun-
denheit, der man im Leben und Denken alle Ausgänge abzu-
schneiden bemüht war, sich in die Kunst hinübergeilüchtet, und
dort sonderbar genug in den schaalen und lauen Schwärme-
reien moderner Religiosität einen Ankniipfungspunct gefunden
habe. Eine süssliche Sentimentalität, in der Carlino D olce
gleichsam das Höchste geleistet hat, von der jedoch selbst der
grosse Guido nicht freigehlicben; verbuhlte Reize in Madon-
nen, Heiligen, Engeln, oder in andern Gegenständen, die sich
eben so wenig zur Bedeckung eigenen; selbst etwas jesuitische
Symbolik und Allegorie, traten an die Stelle jenes gesunden
Lebensgefühls, jener anschaulichen Durchdringung der sittli-
lichen Wahrheiten des Christenthums, welche bei aller Verschie-
denheit in den Graden der äussern Ausbildung von Giotto
bis auf Raffael sich in der Kunst behauptet hatten. Die Ma-
nieren aber nach der Etymologie des Worts, Fertigkeiten
der Hand, doch nach unserm Sprachgebrnuehe Handfertigkeiten
ohne Geist und Anschauung, oder, wie kürzlich ein philoso-
phischer Geist definirte, zur Gewohnheit oder zum Grundsatz
gewordene Abweichungen von der Idee und dem Leben sind
nicht sowol der Ursprung der bezeichneten Uebel, sondern viel-
mehr eine Folge derselben. Leere und Schiefheit des Geistes
können nur durch Neuheit und Ueberraschung augenblicklich
verdeckt werden; und daher diese den letzten drei Jahrhunder-
ten ausschliesslich eigene Verwirrung von vereinzelten Meister-
schaften, die einander in Frechheit, Willkür und Aberwitz zu
übertreffen streben diese Fülle seltsamer Traumgestalten,
bald farblos, bald bunt und gleissend, bald roh und wild, bald
geleckt und schmelzcnd, die wir manierirte Bilder nennen und
doch noch immer nicht in das Feuer zu senden wagen." Von
den Ca-racci, ihrer Schule und Zeitgenossensehaft sagt er