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Ueber
Sryl
und
Manier.
und Menschlichen, oder Ewigen und Zeitlichen, sich oiTenbar-e.
WVas die letztere Beziehung anlangt, so erreichen alle Künste
durch die mannichfaltigsten"Schwingungen der Zeit ihren Gi-
pfelpunct, der, obwol und weil, noch immer ein bedingter und
eigenthümlicher, doch als solcher sich aus- und abprägt, von
welchem es dann abwärts, aber: auch zurück in den Grund der
Schönheit geht. S0 geht es im Allgemeinen von Strenge, Herb-
heit und Kraft zur Anmuth und zum Schönen aufwärts, von
da zu Gesuchtheit und Manier abwärtsfiindem an die Stelle be-
sonnener Begeisterung und Wirksamkeit aus und zu einem
Ganzen die Reflexion und das absichtsvolle Machen tritt (eine
Treibhauskunst in seiner Vollständigkeit), auf eine vielseitige
Ansicht und Auffassung der umgebenden Welt eine Einseitig-
keit des Gefühls oder Verstandes folgt. Dies Gesagte nament-
lich auf italische Malerei beziehend wird wol jeder an der
giunta cimabuischen, raffaelischen und! nachraf-
faelischen, oder caraccischen Periode bewährt und belegt
finden, wie manche Glanz- und Schlaglichter auch jede dersel-
ben noch innerhalb ihres Bereiches biete, welche näher zu
bestimmen und genau anzugeben Aufgabe der Kunstgeschicht-
schrciber ist. Denn, wie allem Geschöpf, so ist auch dem
Zeitgeschöpfe der Kunst (dem daseienden Schönen). seine
Idee, sein Gesetz eingeboren und eingepflanzt, nach welchen
es seine Sphäre mehr oder minder bewusst durchwandelt
und auslebt, jenes Urbild und Gesetz mehr oder minder an-
schaulich versinnlichend und vergegenstänrligend. Wie unfehl-
bar sicher ahndend, weit mehr wol, als uns kund geworden,
ergründend und erkennend, hier die griechischen Künstler, die
bildenden wie die redenden, gewandelt und gewaltet, dies
möchte wol eine tiefere Untersuchung fodern, als die bisheri-
gen, und freilich eine höchst lehrreiche und fördernde zwar,
aber auch eine desto schwierigere, je iibereinstimmiger und
minder vereinzelt, vielmehr innigst verweht und verschmolzen
das Seyn und Handeln, das Nothwendige und das Freie in die-
scn Glücklichen war. Denn nur wo der Glaube an die Ein-
heit des Physischen und Geistigen, oder Rüumlichen und Zeit-
lichen, so unwandelbar fest war, dass Beide nur für einander
ergänzend und in einander übersetzbar galten, dass ein Pytha-
goras Zahl undpFqrmel, Linie und Figur als Wissen erkannte,