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Oberitalien.
Fünftes Buch.
Die genueser Schule.
bar. Er war kein grosser Maler, aber gewiss nicht so verächt-
lich, als er in manchen Schriften behandelt worden ist. Dank-
barkeit, Freundschaft, WVahrheitsliebc, ja Menschlichkeit for-
dern mich auf, alles mögliche Gute von ihm zu sagen, nach-
dem bereits so viel Schlechtes von ihm gesagt worden ist.
Man lese also seine anderwiirts von uns angeführte Verteidigung.
Dort werden, wer auch Verfasser dieser Schrift sei, Dinge von
ihm erzählt, welche wol beweisen, dass er für jene Zeit ein sehr
lobcnswerther Künstler war. Vor allem ehrte ihn Mengsens
Urtheil, der ihn der mailänder Akademie als Vorsteher vor-
schlug; und als im königl. Palaste zu Genua Vaterländische Ge-
ehichten dargestellt werden sollten, wurde Ratti von lliengs
und Batoni zugleich zu diesem ehrenvollen Auftrag empfohlen,
den er auch nachher zur Zufriedenheit des Publicums vollzog.
Einsi-chtige haben in diesen Bildern etwas mehr, als Nachahmung
guter Meister gefunden; bekanntlich nützte er gern fremde Stiche,
oder Gemälde; von wie Wenigen kann man dies aber sagen? In
Rom ferner, wo er vier Jahre in Mengscns Hause lebte,
lieferte er unter seiner Leitung höchst beliebte Werke, wie eine
Geburt Christi, wozu Mengs den Entwurf machte, die, von
Ratti durchs Netz gezeichnet und gemalt, in eine Kirche
nach Bareellona kam. Als er eine heilige Katharina von Ge-
nua zu malen hatte, die nachher auch in ihrer Kirche aufge-
stellt ward, zeichnete ihm Mengs mit bewundernsiverthem
Ausdruck das Gesicht der Heiligen und übermalte nachher das
Bild, wodurch es hochst schützbar ward. Nun bemerke man,
dass tüchtige Meister dergleichen Artigkeiten ihren Schülern
oder Freunden nicht zu erweisen pflegen, wenn sie nicht we-
nigstens eine leidliche Mittelmüssigkeit gewahren. Als Copist
aber musste wol Ratti mehr als mittelmüssig seyn, auch nach
Mengsens Urtheile, da dieser ein in Parma von Ratti ge-
fertigtes Nachbild des heil. Girolamo von Coreggio kaufen
wollte. _Ein anderer Beweis seiner Achtung ist, dass er ihn
über Malerei zu schreiben ermunterte, wozu er in den vier
Jahren, die sie mit einander iverlebten, wol manches Aufklä-
rende gesammelt haben mochte. In der angeführten Verteidi-
digung findet man, welche Akademien ihn aufgenommen, wel-
che Dichter und Gelehrte ihn gelobt, dass er von Pius Vi. das
Ritterkreuz erhalten, dass ihn die ligustische Akademie auf