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Oberitalien.
Viertes Buch.
Die ferparer Schule.
des heil. Johannes zn- Ravenna. Das Bild auf Leinwand ist
gross, wie der Vorsaal, der es aufnimmt; aber die Menge dar-
auf ist ausserordentlich, an Gästen, Umstehenden, Dienern,
Musikchören und Spielern auf Balconen, und in einer Tiefe,
durch welche man den Garten sieht, andere mit so schöner
luftperspectivischer Kunst gestellte Tische mit Gästen, dass
das Auge sich ergehen und ergetzen kann. Ferner ist eine
lilannichfaltigkeit der Handlung, eine Seltsamkeit der 'I'rach-
ten, ein Reichthum an Gefässen darin, dass es stets scheint,
als könne man nicht aufhören zu sehen. Dazu incl einzelne
Gesichter fleissiger, wie das des Ahasverus, des Gastmahlord-
ners, eines knieenden Edelknaben, der dem König die Krone
überreicht, und die einiger Sänger, welche theils durch Würde,
theils durch 'l"hätigkeit, theils durch Anmuth entzücken. Bo-
non e hat keine andere Arbeit geliefert, wo er sich, wie andern,
so gcliel.
Die Kirche S. Maria in Vado hat noch so viel Gemälde
von ihm an den Wänden, der Altarwölbung und der Decke mit
so vollendeter Einsicht in das von Unten nach Oben, dass
man, um sein ungeheueres Talent kennen zu lernen, diesen
grossen Tempel sehen muss. Guercino, als er von Cento
"nach Ferrara kam, wendete Stunden daran und haftete mit
ganzer Seele nur an Bonone. Ich habe gelesen, dass er sol-
cher Arbeiten wegen bis zu Coreggio und den Caracci
erhoben worden ist; und gewiss hatte er viel von jenem Ver-
fahren: er zeichnete sorgfältig, modellirte seine Figuren in
Wachs, ordnete die Falten daran, stellte sie an nächtliches
Licht, um die grosse Wirkung abzunehmen, wonach er mehr
als die Caracci selbst trachtete. lndess achte ich die allge-
meine Meinung zu sehr, die nicht Nebenhuhler, sondern nur
Nachahmer jener grossen Männer kennt; und ich habe mit
Kennern gesprochen, die an Bonone stetcre Genauigkeit der
Zeichnung, Wahl der Köpfe, starken Farbenauftrag, und gutes
Verfahren in der Gründung vermissen. Trotz diesen Ausstel-
lungen bleibt dieser Künstler immer einer der ersten, die Ita-
lien nach den Caracci sah. Wiewol jünger, als Scarsel-
lino, konnte er doch an Verdienst ihm nicht nachgesetzt wcr-
den; und nie hat die hierüber entzweite Stadt einstimmig dem
ältern, oder dem jüngern den Vorzug gegeben. Sie hatten