60
Oberitalien.
Venediger
Schule.
giibe gewesen und dagegen idoeh andern Schulen so selten zu-
gekommen? Mithin muss man Alles von der Behandlung der
Farbe herleiten, worin die besten Venediger den übrigen Besten
in Italien thcils gleich verfuhren, theils aber auch anders.
Man pflegte damals gewöhnlich die Tafeln, oder die Leinwand,
worauf man malen wollte, mit Gyps vorzuriehten; und dieser
wcisse Grund, der jeder aufgetragenen Tinte zusagte, gab ihr
auch zugleich etwas wunderbar Leuchtendes, Blühendes, Durch-
sichtiges. Diesen durch Habsucht und Faulheit abgckommgnen
Brauch fängt man doch jezt glücklicherweise wieder an zu erneu-
ern. Aber ausserdem hatten die Venediger auch noch einen Kunst-
griff, den man wohl ihnen eigen nennen kann. Die Meisten
nämlich in jenen drei Jahrhunderten trugen die Farbe nicht sowol
teigartig aufklebend, als vielmehr hinwerfend und tupfend auf;
hatten sie nun jede Farbe an ihre Stelle gesetzt, ohne sie sehr zu
quälen oder durchzurühren, so verstärkten sie dieselbe immer
mehr, so dass die Tinten frisch und reinlich blieben; was denn
freilich nieht- allein eine Sicherheit der Hand und des Geistes,
sondern auch Erziehung und gleich von demfriihesten Jahren an
gebildeten Geschmack voraussetzt. Daher pflegte Veoeliio zu
sagen, fleissige Bilder könne jeder fleissige Maler nachmalen,
aber einen Tizian, einen Paolo nachmalen, ihren Pinselwurf
nachahmen, das könnten nur Venediger, möchte ihnen das an-
geboren, oder doch angelernt seyn. (Boschinip.274). Fragt man
nun, welche Vortheile dies Verfahren gewähre, so führtB o s ch ini
zwei bedeutende an. Einmal wird mit dieser Art von Farbenauf-
trug, welchen er den fleck- oder streckweisen und handfertigcn
nennt, leichter die Härte vermieden; dann aber treten auch da-
mit die Arbeiten in der Ferne besser hervor; und da doch Ge-
mälde nicht gemacht sind, um sie unmittelbar unter den Au-
gen zu haben, sondern aus der Ferne zu geniessen, so wird
auf diese Weise die Absicht leichter erreicht. Ich weiss wohl,
dass die Neuern diese Grundsätze misbraueht haben; aber man
verstehe sie nur gehörig! Dazu will ich auch nur die Besten
aus dieser Schule als Muster aufstellen, welche die Art und die
Gränzen dieses Verfahrens gründlich tief verstanden. Aber
auch die Verwandschaft der Farben verstanden sie besser, so
dass die Art, wie sie dieselben einander nahe brachten, oder
cntgegcnsezten, ein zireiter Grund des Ergetzliehen und Hei-