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Oberitalien.
Mailändische
Schule.
das vor jedem Maler aufgeschlagene Buch; Geschmack lehrt
wählen, Üebung fiährt schrittweise zur Vollziehung der Vvnhl.
Lionardo's Geschmack War dem Raffnels"chen im Zar-
ten, Anmuthigen, im Ausdruck der Gemüthsbewegungen so ver-
wandt, dass, hätte er sich nicht durch viele andere Arbeiten
zerstreut und etwas von seinen übertriebenen Forderungen des
Vollendetcn nachgelassen, um dafür Leichtigkeit, Angenehme
und Fülle der Umrisse zu gewinnen, so wäre unwillkürlich
Lionardws Styl dem Raffaelrchen begegnet, welchem er
in einigen Köpfen besonders so nahe kommt. Dasselbe glaube
ich auch von Bernardino, der Vinci's Geschmack zu
dem seinen gemacht hatte und in einem Jahrh. lebte, das schon
einer grössern Leichtigkeit und Weichheit entgegenging. Auch
er begann mit einem minder vollen, an das Trockene
streifenden Style, wie man offenbar in! seiner Pieta alla Pas-
sione "sieht; nach und nach aber Tiihrte er ihn mehr an "das
Neuere heran. Selbst der trunkene Noah, welcher in
S. Barnabas als eines seiner seltsamsten Werke gezeigt wird,
hat eine Schärfe der Zeichnung, einen Kleidersehnitt, einen
Faltcnwurf, der noch an ein Ueberbleibsel des funfzehnten Jahrh.
erinnert. Mehr entfernte er sich davon in den Geschichten
zu S. Croce, von 1520, wovon er einige in Sarono fünf
Jahre später wiederholte, wo er sich selbst zu übertrelfen
scheint. Diese letztern Arbeiten gleichen zwar der RaffaeP-
sehen Behandlung am meisten, haben aber doch noch die
kleinliche Umständlichkeit in den Spitzen, die Vergoldung in
den Heiligenscheinen, das Gewöhnliche in den Tempelverzie-
rungen, fast wie bei Mantegna und seinen Zeitgenossen,
welches Alles Raffael ablcgte, als er zu einem bessern Style
schritt.
Ich glaube mithin, dieser Künstler verdankt seinen Styl
nicht sowol Rom, woher er manche Stiche und Copien- der
Künstler, die dort geblüht hatten, erhalten konnte, als der
Akademie VinePs, dessen Grundsätze er ganz besonders ein-
gesogen zu haben scheint, vor allem aber seinem in seiner Art
eigenen und wenigen vergleichbaren Genius. Ich sage, in sei-
ner Art, und verstehe darunter das Süsse, Liebliche, Gefühl-
volle. In den Bildern zu Sarono hat U. L. F. stets ein Ge-
sicht, das in Schönheit, Würde, Bescheidenheit nahe an Raf-