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Oberitalien.
Mailändische
Schule.
Von Allem also, was er in' Mailand
denkwürdiger, als seine Akademie, deren
geleistet ,
Zöglinge
ist nichts
die schöne
schon das Vollendetste, ja Unerreichbare sind, denen es an Kraft
und Geschicklichkeit fehlt, ein XVerk in allen Theilen aus .und durch-
zubilden und welche daher glauben , Leo n ar do habe sich -ins Ein-
zelne verloren. Betrachten wir da Vinci nach der Zeit, die
vor ihm war, so sehen wir auch hier den Günstling des Schicksals,
welcher nach einer Zeit geboren wird, wo grosse Vorgänger Wissen-
schaft und Kunst in einzelnen Zweigen und Richtungen bis zum Gi-
pfel gehoben haben, und wo es nur noch eines tiefen, kräftigen und
umfassenden Geistes bedarf, Alles in sich aufzunehmen, was vor ihm
liegt, und dann gleichsam die letzte sichre Meisterhand an das er-
habene Werk der Menschheit zu legen, um alles in ruhiger Grösse
zu vereinen und zu vollbringen. Doch ist dies nicht das eitle Trei-
ben der sogenannten Eklektiker, welche sich mit bunten, fremden
Federn schmücken, aus welchen ihnen niemals Geistesschwingen an-
wachsen, sondern nur eine Papagenojacke entsteht, mit der sie ihre
Blässe decken. E ist bei einem Geiste, wie der des Vinci, ein
wahres Aneignen und Ausbilden, wie die Biene den Blumensaft ein-
saugt, in sich zu Honig umbildet und dann ihre eignen Zellen baut.
Erblicken wir Leonardo in der Mitte seiner Zeitgenossen, auf der
einen Seite den mächtigen Michelangelo mit dem Titanengeist,
der den Himmel erstürmen, und auf der andern Seite Perugino,
der den Himmel auf die Erde herableiten möchte und mit einem
schönen, aber beschränkten Talente begabt war, o finden wir auch in
unserm Helden die harmonische Vereinbarung der unter zwei lndi-
viduen vertheilten Anlagen, die reinste Uebereinstimiuung und das
vollste Gleichmaas von Kraft und Willen, von Ruhe und Streben, von
Sinn für Anmuth und Gefühl für Grossheit, von Sinnlichkeit und
Geistigkeit. Erwägen wir, was er für Andre war, so müssen
wir den zuverlässigen, besonnenen und eiusichtsvollen Lehrer ver-
ehren, der seinen Nachfolgern die Bahn ebnete, worauf Jünglinge,
nicht wie an einem Laufzaum einer Schulmanier, sondern freien
Schritts zur Meiterschaft wandelten. Besonders hat ihm die mailän-
der Schule in dieser Hinsieht viel zu danken; denn ohne ihn hätten
sich doch wol früher auch diese Küntler wie die Florentiner auf der
Bahn des Michelangelo verirrt, oder wie Zuccari den Raf-
fael misverstanden, - Eine grössre Mannigfaltigkeit der Talente
und Bestrebungen erhielt sich bei den Mailändern länger, als in nn.
dern Schulen. Im allgemeinen nahm sie von ihrem Grossmeister
Vinci eine Richtung zur Anmuth, doch nicht der fröhlichen wie
die des Coreggio, sondern einer wonnereichen Melancholie und
einem siissen träumerischen Wesen, und so zaubrisch auch dieser Cha-
rakterzug der mailänder Schule ist, so können wir ihn doch immer
wieder nur als eine Ausartungjener tiefen, aber ungetrübten lnnig-
keit des Leonardischen Gemüthes betrachten, welches aus allen
seinen Werken uns anlächelt. Ein linder Ernst und hohle
Schwärmerei ist der Charakterzug seiner F'rauenbilder, auf das edel-
ste in seinen Madonnen gesteigert und uuf das reizendste in den
Portraiten. - Die ganze Kraft des Gemüths pricht sich lebendig
in dem Kampf der drei Reiter und dem Abendmahle aus, so viel wir
davon keimen, und so wenig uns auch von beiden iibrig geblieben
ist Fassen wir sein Gesammtwesen auf, so erstaunen wir aber-
mals über diese Harmonie; denn als Charakter und Talent immer