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Oberitalien.
Venediger
Schule.
Schule, wobei sie jedoch ihre eigenen Fehler nicht vergassen.
Darum wurden nun aber die alten Meister nicht misachtet;
man sprach vielmehr von ihnen, wie von den Alten des goldnen
Jahrhunderts, deren Sitten man lobt, nur aber nicht nachahmt.
Die Mode hatte, wie es auch in den Wissenschaften zu ge-
schehen pflegt, die Stelle der Vernunft eingenommen, und die
Maler, welche ihr folgten, führten zu ihrer Entschuldigung an,
das Jahrhundert liebe nun einmal diese Neuerungen und man
müsse schon seinem Geiste nachgeben, um sein Glück zu ma-
chen. So begann denn die venediger Schule, welche stets den
Vorrang im Colorit behauptet hatte, dasselbe zu ändern uml
wurde zwar glänzender, aber minder wahr. Es giebt Wenige
in diesem Zeitraume, die in den Tinten nicht mehr oder weni-
ger manierirt genannt werden müssten. In manchen Stücken
gewann übrigens hinwieder diese Schule, namentlich in zeit- und
brauchgemässerer Behandlung des Geschichtlichen, wo unge-
hörige Bildnisse, Trachten, Bräuche vermieden wurden, worin
sie sich viel mehr und viel länger zu Schulden kommen gelassen
hatte, als andere. Auch ist nicht zu läugnen, dass in diesem
Jahrhundert des Verfalls Italien doch noch tüchtige Männer und
Erfinder, die ihm Ehre machen, hervorgebracht. Während fast
ganz Unteritalien nichts wagte, was über die Cortonischen Ge-
genstellungen hinauslag, während in vielen oberitalischen Schu-
len die Nachahmer der Nachahmer der Caracci für die höch-
sten Muster galten, sah man in Venedig und dessen Gebiete
mehrere, wenn nicht vollkommene, doch ureigene und in ihrer
AArt geschätzte Style aufkommen; wenn anders ganz Europa sich
nicht geirrt hat, indem es die Gemälde der Ricci, des Tiepolo,
Canaletto, Rotari und ähnlicher Künstler dieser Zeit
schätzte und mit grossen Summen ankaufte. Doch wir wollen
näher auf das Einzelne eingehen.
Ritter Andrea Celesti, der in den ersten Jahren des
Jahrhunderts starb, war Ponzoniis Schüler, ohne sein Nach-
ahmer zu seyn. Er ist ein lieblicher Maler, fruchtbar an schönen
Gebilden, grossartigen Umrissen, anmuthigen Gründen, Lüften, Ge-
sichtern und gefälligen, zuweilen Paoloschcn Kleidungen; end-
lich von einem der Wahrheit nicht allzu fernen, sehr leuchten-
den, frölichen und süssen Colorit. Durch seine Sucht nach dem
Helldunkel, das unter andern Eigenheiten seines Styls o lockend