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Oberitalien.
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dhurer
Schule.
welches ihn entzündete, die stärksten Ziige der Leidenschaften
aufzufassen, und ihm nicht ausging, bis er sie ganz auf der
Leinwand wiedergegeben hatte.
Was ist aber grosse Gelehrsamkeit und seltener Geist, oder
was sind alle erforderliche Kiinstlergaben ohne Fleiss, in wel-
cher Tugend allein, wie Cicero sagte, die übrigen alle ent-
halten sind? Tintoretto hatte ihn eine Zeit lang, und da
lieferte er denn Arbeiten, an welchen die strengsten Kunstrich-
ter auch nicht den mindesten Fehl entdecken konnten. Dahin
gehört jenes Wunder des Sclaven in der Schule S. Marco 48),
welches er in seinem 36. Jahre malte, und das für ein Wun-
der der venedigcr Malerei gilt. Die Farbe ist da Tizianisch,
das Helldunkel sehr stark, die Composition besonnen und rich-
tig,_die Formen gewählt, die Gewande fleissig, die Gebärdung
der Umstehenden, besonders des Heiligen, der zu Hülfe herbei-
eilt und gleichsam so leicht ist, wie ein Körper aus Luft, man-
nichfaltig, eigenthümlich und schicklieh, unglaublich lebhaft.
Hier malte er auch manches Andere so schön, dass Pietro
da Cortona, als er es sah, sagte: wohnte ich in Venedig,
ich liess keinen Festtag vorüber, wo ich nicht immer wieder
meine Augen an diesen Gegenständen weidete und besonders die
Zeichnung bewunderte. Eben so wird in der Schule des heil.
Rochus seine Kreuzigung gerühmt, die allerdings einen so oft
wiederholten Gegenstand auf eine ganz neue Weise behandelt").
Es fehlt nicht an andern Musterbildern daselbst, die so neu,
als mannichfaltig sind; ich erwähne aber nur noch der Kürze
halber, als drittes, das Abendmahl U. H., jezt alla Salute, d. i,
ausserhalb des Speisesaals der Kreuztriiger, wofür es gemalt
war. Die es an Ort und Stelle gesehen, haben davon, wie
von einem Wunder der Kunst gesprochen; denn das Gebälk
dieses Zimmers war in das Gemälde so schön aufgenommen
und mit soviel Kenntnis der Perspective nachgeahmt, dass es
den Ort noch einmal so gross erscheinen liess, als er war. Und
nicht diese drei Arbeiten allein , unter welche er seinen Namen
48) Jetzt in der Gallerie 6er Akademie zu Venedig. Q_
49) Sie ist von Agost. Caracci in Kupfer gestochen in drei
Blätlerm, Tintoretto gestand, es sei im Stiche Vieles besser ge-
zeichnet, als im Gemälde. Q.