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Oberitalien.
Venediger
Schule.
Geschichtsehreiber macht dabei die Bemerkung: „Man sehe, wie
klugl" Ich möchte noch eine machen: „Merkc wohl, dass man
Tizian's Werth nicht, wie wol zuweilen geschieht, nach sol-
chen Bemerkungen ermessen dürfe 30)l"'
Der gewohnten Ordnung zufolge will ich nun von Ti-
zian's Nachahmern reden. Er war kein so guter Meister, als
llialer. War ihm nun das Lehren verdriisslich und unerträg-
lich, oder war es vielmehr Furcht, einen Nebenbuhler aufstehen
zu sehen, er war spröde mit Belehrung. Gegen Paris Bor-
done, der vor Lust brannte, ihm ähnlich zu werden, war er
stets streng und bekriegte ihn sogar; Tintoretto jagte er
aus seinem Arbeitzimmer, und den eigenen Bruder, der ganz
besondere Anlage zur Malerei zeigte, bestimmte er mit List,
den Handelstand zu ergreifen. Daher, sagt Vasari, kann man
nicht gar viele wirkliche Schüler von ihm nennen, weil er nicht
viel gelehrt, sondern jeder mehr oder weniger, wie er eben
vermochte, aus Tizian's Arbeiten lernte.
Seine Familie zählte mehrere Künstler und wer ihre Reih-
folge kennen lernen will, kann sie in Catlore, zum Theil auch
in Belluno, nahe bei Cadore, kennen lernen. Dort blühte zur
Zeit der Vecellj ein Niceolö di Stefano, achtungswerth,
iiiii
30) Es dürfte hier am Orte seyn, noch auf einige Kupferstiche auf-
merksam zu machen, durch welche der Kunstliebhaber sich mit ei-
nigen hauptsächlichen tVei-ken Tizians bekannt machen kann, wenn
ihm die Gelegenheit fehlt, die Originale selbst zu sehn, was bei Wer-
ken dieses Meisters von grössrer Wichtigkeit ist, als bei vielen an-
dern; denn bei ihm ist Gedanke, Ausführung, Zeichnung und Fär-
bung aus einem Erguss des Geistes und in unzertrennlicber Ueher-
einstimmung und der Stich kann das Colorit höchstens doch nur an-
deuten.
Danae von R, Strenge, und Venus von eben demselben. Das
Original von ersterer ist in Neapel, von letzterer in Florenz. Präsen-
tation der Maria im Tempel von Andrea Z ucuhi, Wandgemälde in
der Scunla della Caritä, jetzt das Akademiegehiiude in Venedig; ein
vorzügliches Bild, aber ein schlechter Stich danach! Pietro hier-
tire, gestochen von Flelice Zuliuni, ist kräftig gestochen und zu
empfehlen, Madonna mit Zwei Engeln ein meisterhafler Stich vnn'
Anderlon i. Himmelfahrt der Maria, des Malers grösstes Werk,
vormals in S. Maria gloriosa, jetzt in der Gallerie der Akademie in
Venedig, tretllich gestochen von Natale Schiavon e. Adam und
Eva, ein vorzügliches Blatt von Folo nach einem zweifelhaften T i-
zianischen Gemälde. Ueber die Holzschnitte und Stiche, welche
ihm zugeschrieben werden,'s.Bart sch Le Peintre Graveur. Vol. X VII.
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