Zweiter
Zeitraum.
Giorgione, Tiziano, Tintoretto etc.
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Er prunkte nicht damit, und liess es sich sehr angelegen seyn,
zur vollkommenen Einsicht darin zu gelangen; ja, nachdem er
erst seine Arbeiten frei und muthig entworfen hatte, stellte er
sie einige Zeit bei Seite und ging dann wieder mit frischem,
aufmerksamen Auge daran, jeden Fehler wegzunehmen. Das
Hans Barbarigo hat unter einem Schatze seiner ausgearbeiteten
Gemälde auch einige solche Entwürfe. Die Vollendung seiner
Arbeiten kostete ihm viel Mühe, die er zugleich iimsig zu ver-
bergen trachtete; und unter seinen Arbeiten findet sich man-
ches so geistreich und sicher Treffende, das die Künstler be-
zaubert, lange Gesuchtes auflöst, und jedem Gegenstande den
wahren Charakter der Natur ertheilt. So verfuhr er in seiner
besten Zeit; aber gegen da Ende seines Lebens er starb
an der Pest, als ihm nur noch ein Jahr an Hundert fehlte
verführte ihn Augen- und Handsehwäehe zu einer minder fei-
nen Behandlung, strichweise zu malen und dievTinten mühsam
zu verbinden. Vasari, der ihn 1566 wiedersah, suchte von
da an Tizian in Tizian; noch mehr würde er es wol in
den folgenden Jahren gethan haben. Doch, wie Greise pflegen,
fühlte er seinen Verfall nicht, lehnte auch bis in sein lcztes
Jahr keine Bestellung ab. _In S. Salvatore ist eine Verkündi-
gung von ihm, wo nurIder grosse Name des Künstlers den
Beschauer festhält; und weil Einige gesagt hatten, das Bild sei,
oder scheine nicht von seiner Hand, so ärgerte er sich und
schrieb mit dem Unwillen eines Greises darunter: Tizianus feeit
fecit. Dennoch kommen die Kenner darin überein, dass auch
seine letzten Arbeiten sehr belehrend sind; so wie die Dichter
von der Odyssee sagen, die auch im Alter, aber von Homer,
geschrieben ist. Einige dieser Gemälde in Sammlungen wer-
den für zweifelhaft ausgegeben; so manche von seinen Schülern
gefertigte und von ihm überarbeitete Copien; namentlich einige
Madonnen und Magdalenen, die ich an gar vielen ,Orten gese-
llen, und die wenig, oder gar nicht von einander verschieden
sind. l-liebei darf nicht vergessen Werden, was Ridolf i er-
zählt, dass er nämlich, wenn er ausging, absichtlich sein Ar-
beitzimmer offen liess, damit seine Schüler heimlich seine Bil-
der copireu konnten. Kamen nachher dergleichen Copien zum
Verkauf, so brachte er sie gern an sich und überarbeitete sie
mit leichter Mühe, so dass sie für Originalwcrke galten. Der