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Drittes
Buch.
Römische
Schule.
ren Der Held gebürdet sich wirklich wie ein Held, der
Gemeine wie ein Gemeiner, und was keine Sprache, keine
Feder beschreiben könnte, veranschaulicht RaffaePs Geist
und Kunst in wenig Ziigen. Vergebens haben sich Viele ver-
sucht, ihm nachzuahmen; seine Gestalten scheinen von G151
fiihl und Seele bewegt; andere dagegen, Poussin und wenig-g
andere ausgenommen, durch Nachahmung, wie tragische Schau-
spieler. Das ist eben das höchste Verdienst Raffaelßs, den
er die Seele, das Gcmüth so treiilich malte, Wenn mit dieser
Fiihigkeit sich nun noch das schwierigste, das Wissenschaft.
liche, das Erhabenste der Kunst verbindet, wer möchte mit ihm
um den Preis ringen?
Eine andere Eigenschaft besass R. in hohem Grade, die
Anmuthm); auch eine Gabe, welche die Schönheit gewisser-
massen würzt und schöner macht. Apelles, der sie unter
den Alten vorzugsweise besass, erhob sich desshalb über jedgn
andern Künstler 62). Unter den Neuern eiferte ihm hierin R_
nach und erhielt darum den Zunamen des neuen Apellem
Die Formen seiner Kinder und anderer zarter Körper, die er
darstellte, vertrugen wol einen Zusatz; ihre Anmuth keinen,
der nicht, wie bei Parmigianino, in Ziererei ausartega
Seine Madcnnen bezaubern, wie Menge bemerkt, nicht weil
sie so vollkommene Züge, wie die Mediceisehe Venus, oder dia
gerühmte Tochter der Niohe haben, sondern weil der Maler in
diesen Angesichtern, diesem Lächeln die Bescheidenheit, dile
Kindesliebe, die Seelenreinheit, mit einem Worte die Anmuth
und Holdseliglceit veranschaulicht. Und nicht bloss über die
Gesichter ist sie ausgegossen, auch über Stellungen, Gebärden,
Bewegungen, Gewandung, mit einer Unbewumlenheit, die man
wol erkennen, [aber nicht nachmachen kann. Die Leichtigkeit
selbst, womit sie sich ankündet, ist ein Theil dieser Anmuth;
sie hört auf, wo Mühe und Anstrengung eintritt; und wie an
einem Sprecher, so ergetzt auch an einem Maler die natür-
GÖ) Hierin liegt eben das Ideale im Realen, das Allgemeine ilil
Besondern, Q-
61) Anmuth heisst Antheil, den das Gemüth an einem Gegenstand:
nimmt und weckt. Q-
xxxV, w.
Quinclil.
Inst.
XII, lO.