Volltext: Geschichte der Malerei in Italien vom Wiederaufleben der Kunst bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts (Erster Band)

Zweiter 
Zeitraum. 
Railhel 
und 
seine 
Schule. 
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Yiomazzo sogar, der tiefer war, als Beide, ihn hierin nicht 
so, wie später Algarotti, Lazzarini und Mengs gerühmg 
haben. Die Bahn zu gewähltem Ausdruck brach zuerst Lion- 
ard o, wie ich bei der Mailänder Schule zeigen werde; da die- 
ser aber so irenig und so mühsam gemalt, so kann er nicht 
mit Raffael verglichen werden, der dies ganze Gebiet aus- 
mass. Es ist keine Gemüthsbcivegung, kein Charakter der 
Leidenschaft, den die Sittenlehre kennt und die Malerei dar- 
stellen kann, den er nicht bemerkt, ausgedrückt, auf hundert-, 
fache Weise und doch immer angemessen dargestellt hätte. 
Von Studien, wie sie Vinci unter der Volksmenge gemacht 
haben soll, erzählt man in Raffaelts Leben nichts; aber 
seine Bildermenge beweiset, dass er sie nicht so anhaltend ma- 
chen konnte, und seine Zeichnungen, dass er derlei Hülfen 
nicht brauchte. W'ie schon bemerkt, hatte die Natur ihn mit 
einer Einbildnngskraft begabt, die seine Seele in eine fabel- 
hafte, oder ferne Begebenheit, wie in eine wahre und gegen- 
wärtige, versetzte, so dass er die Eindrücke, welche sie auf 
die Handelnden machte, erkannte und fühlte, und nicht-eher 
ruhte, als bis er sie so anschaulich dargestellt, als er sie entweder 
auf fremden Gesichtern gesehen, oder in seinem Geiste vorge- 
bildet fand. Diese seltene Künstlergzlbc besass Raffael im 
höchsten Grade. Seine Figuren lieben, schmachten, fürchten, 
hoffen, wagen wirklich; sie zeigen Zorn, Versöhnlichkeit, De- 
muth, Stolz, wie es die Verhältnisse fordern; wer diese Ge- 
sichter, diese Blicke, diese Gebärden sieht, meint oft kein Bild 
vor sich zu haben, fühlt sich entzündet, hingerissen in die 
Begebenheit selbst. Eine andere Feinheit hierin ist seine Ab- 
stufung der Leidenschaften, so dass jeder leicht sieht, ob sie 
ab- oder zunehmen, oder erlöschen. Derlei Unterschiede hatte 
er im Gespräche bemerkt und so wusste er jedesmal, was sich, 
ihm bot, darzustellen." Alles spricht noch im Schweigen; je-l 
dem Handelnden „ist auf der Stirn, im Aug' das Herz zu le- 
sen" (Petn); die kleinen Bewegungen der Augen, der Nüstern, 
des Mundes, der Finger entsprechen den ersten Regungen je- 
der Leidenschaft; die beseeltesten, lebhaftesten Gebärden drücken 
ihre Heftigkeit aus; und, was noch mehr ist, sie wechseln 
hundertfach, ohne unnatürlich zu werden, und eignen hun- 
dert Charakteren, ohne je an Eigenthümlichkeit zu verlie-
	        
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