Zweiter
Zeitraum.
Raifael
und
seine
Schule.
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Wir wollen den Leser nicht mit langen Streitfragen be-
helligen. Für Michelangelom Ruhm war es ein grosser
Vortheil, dass er zwei Schüler hatte, die, als er noch lebte
und Raffael schon todt war, sein Leben schrieben; was Raf-
faelen nicht widerfuhr. Hätte er noch gelebt, als Vasari
und Condivi ihre Werke herausgahen, so würde er wol nicht
geschwiegen haben. Er hätte dann leicht (largethan, dass, als
Buunarroti nach Florenz floh, also 1506, er nicht in Rom
war, und erst zwei Jahre nachher dahin berufen wurde, mithin
die (Älemillmle in der Sistina nicht heimlich sehen konnte. Er
hätte gezeigt, dass er von 1508 an, als Michelangelo viel-
leicht noch nicht Hand an sein Werk gelegt, bis wo
er die erste Hälfte aufgedeckt zu haben scheint 30), immer auf
grossartigern Styl hinarbeirete, und wie Buonarroti diesen
durch Studium des Belvederesehen Torso, so er durch Studium
desselben und anderer Marmorwerke") anstrehte, deren Zeich-
nung in seinem Style wiederzuerkcnnen ist. Er hätte Va-
sari fragen können, worein er denn die Grösse und illäjestät
des Styls setze, und ihn aus dem Beispiele der Griechen,' wie
durch vernünftige Gründe belehren, dass das Grosse nicht in
den xnuseulösen Glidlern, oder in wilden Gebärden bestehe,
sondern, wie auch Mengs bemerkt, in Hervorhebung der
grossen Theile, Beseitigung der mittelmiissigen und kleinenn)
und in Anregung erhabener ldcen. Daher hätte er ihm theil-
Weise das Grosse der sogenannten Schule von Athen in dem
majestätischen Gebäude, in den Umrissen der Figuren, im
Wurfe der Gewänder, in der ernsten Würde der Gesichter und
Gebärden, und die Quellen dieses Erhabenen in den Ueber-
bleibseln der Alten nachweisen können. Schien er im Jesaias
grösser, so hätte er Vasari durch die Geschichte widerlegen
können, die dies Werk vor 1511, und also als gleichzeitig mit
30) S, CrespPs ersten Br. Lclt, pitt. II. p. 338- L.
31) Zliengs bemerkt, Raffael habe: die Basreliefs am Triumph.
bugen des Tilus und Uonstautinus studirt, die am Bogen des
Trnjarlus waren, und danach besonders die Gelenke und knuclnen
bezeichnet, wie die Unnrisse des Fleisches einfacher und leichter ge.
halten. S. Rfjlessiavzi sopra i lrc grau p-illuri ecc. c, l, L.
32) Rijlass. sulla bellezza e sul gusta della pillura. P. IIT- C. l-
S. auch Azaraf s Bemerkungen dazu. L.