Zweiter
Zeitraum.
Ralfael
und
seine
Schule.
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Geometrie voraus; und übrigens weiss man, dass er auch Ana-
tomie, Geschichte und Dichtkunst trieb H). Sein grösstes
Studium aber in Rom waren die Griechischen Musterw), wel-
che sein Wissen vollendeten. Er betrachtete die alten Bauten,
und wurde sechs Jahre lang so von Bramante über die
Theorie derselben belehrt, dass er nach dessen Tode statt sei-
ner die Aufsicht über den Bau der Peterskirche führen konntew).
Er betrachtete die alten Bildwerke und machte sich aus ihnen
nicht nur die Umrisse, die Gewandung und Bewegung, sondern
den Geist und die leitenden Grundsätze der Kunst zu eigen.
Nicht zufrieden mit dem, was zu Rom war, hielt er auch
Zeichner für Alterthümer in Pozzuolo, durch ganz Italien, bis
nach Griechenland hinein. Und nicht minder nützte er die
Lebenden, mit welchen er sich über seine Composltioncn be-
17) Ein Sonett von ihm führt Piacenza in den Anmerkungen zu
Baldinucci an T. II. p. 371. L. Auch auf der Rückseite ei-
ner lianilzeichnung befindlich. Zwei Uebersetzungen desselben in
Tölkenis angef. Rede. Der Anfang eines andern Sonetts findet
sich auch auf einer Raff. Handzeichnung, Q,
18) Was Griechische oder Römische Kunstwerke sind, unterschied
man damals wol nicht so genau, als jetzt. Sollte RaffaePs, dem
schönsten Antiken ähnlicher Styl nichbmehr auf seinem innigen
Naturgefühle, als auf einem blassen Studiren und Aneignen des Al-
ten heruhn? {Wäre letzteres nur der Fall, so würden RaffacPs
Werke leblos eyn und nicht die eigenthünrliche Schönheit in
sich tragen. Dass sie aber oft in der Sinnesweise der An-
tilte gleichen, kommt wol daher, dass sie eben auch wie die
Griechischen Meister der ewigen Naturschönheit gleichen, also
unter einander eine Aehnlichkeit, und doch auch eine specilischß
Eigcnthümlichkeit statt linder: muss und wirklich statt findet. Es ist.
also die Einheit in der Mannigfaltigkeit der Schönheit antiker und
Raffaelischer Wierke, worauf diese Aehnlichkcit beruht und eine
Uebereinstilnmung ohne Nachahmung, die wir hieran erkennen.
19) Auf Leo X. Wunsch machte er eine Zeichnung und Beschrei-
bung des alten Roms, da er auch die Kunst erfunden hatte, Ge.
biiude mit der Magnetnadel auszumessen Dies hat uns Frances-
coni enthüllt, indem er einen ehlnnls Castiglione beigelegten
Briefllaffaelen wieder zugesprochen hat. Es ist gleichsam eine
Zueignung des Werks an Leo X_; alter das XYerk selbst und die
Zeichnung sind verloren gegangen, und mehrere von Rßffael ausge-
messene Bauten sind unter den folgenden Päpsten abgetragen wor-
den. Ein schönes Loh dieses Werks von einem Zeitgenossen führt
Morelli in den Anmerkungen zur Aiotizia p. 210 an. Es ist von
einem Marcantonio Michiel, welcher sagt, R. habe die Verhält-
nisse, Formen und Verzierungen der alten Gebäude Rom's o klar
dargestellt, dass msndas alle Rom nicht gesehen zu haben brauchte.
L.