Zweiter
Zeitraum.
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und
seine
Schule.
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die besten Venezianer zu blühen begannen, so dass es ein
Mensehenalter erfordert hätte, sie alle kennen zu lernen. Und
so erreichte die Malerei in wenig Jahren eine Höhe, wie nie
vorher, noch nachher, bloss durch Nachahmung dieser ersten
Meister, oder durch Verein der in ihren Werken zertreuten
Vorzüge in Einem Werke. So pflegen aber, nach einer Alles
leitenden Vorsehung, gewöhnlich die höchsten Geister in einer
Kunst sich gleichzeitig, oder kurz auf einander zu entwickeln;
wovon Vellejus Paterculus, trotz alles Grübelns, nie
den wahren Grund einzusehen gestand. Ich sehe, sagte er,
in einem sehr kleinen Zeitraume die seltensten Männer Einer
Kunst zusammengedrüngt, wie Thiere mehrerer Arten, die in
einen verschlossenen Ort eingeengt, doch ein verwandtes dem
andern nahe, in mehrern getrennten Räumen sich vereinen
und verbinden. Ein Zeitalter allein hob durch Aeschylus,
Sophokles und Euripides die Tragödie, Ein Zeitalter die
alte Komödie unter Kratinus, Aristophanes, Eumolpi-
des, und so die neue unter Menander, Diphilus und Phi.
lemon. Nach Plato und Aristoteles standen wenig be-
rühmte Philosophen auf; und wer Isokr a t es und seine Schule
kennt, kennt auch die Glanzhöhe Griechischer Beredsamkeit.
Dasselbe gilt auch von andern Völkern. Die grossen Lateini-
schen Schriftsteller sammelten sich um das Zeitalter Augustus;
und Leo X. war der Augustus der Italienischen Schriftsteller",
Ludwig der Grosse der Französischen, Karl IL der Eng-
lischen.
Wenn nun Ve lle j us meint, die Grösse vorhandener Treff-
lichen schlage nieder, so wird damit doch nicht die Gleich-
zeitigkeit grosser Männer erklärt. Mir scheinen vielmehr
Jahrhunderte sich nach gewissen allgemein von Künstlern und
Kunstfreunden anerkannten Grundsätzen zu bilden, die, wenn
sie nun einmal für die wahrsten und richtigsten angesprochen
werden, einige ausserordentliche und viele gute Künstler her-
vorrufen. So wie sich, nach Maasgabe menschlichen Unbe-
standes , diese Grundsätze ändern, ändert sich auch das Jahr-
hundert. Dabei muss ich aber noch bemerken, dass so glück-
liche Jahrhunderte nie ohne eine grosse Anzahl Fürsten und
Privatmänner entstehen, welche in Geschmack und Bestellungen
wetteifern. So nur legen sich Viele darauf und unter dienen