Ueber LanzVs
Kunstansicht.
XXIIX
zum höchsten Zweck der Malerei macht und was Er als
Zweck der Malerei, oder Aufgabe der Maler schildert, mit
dem Worte Idee bezeichnet.
Jetzt freilich sind d e Piles Schriften nur noch als
Curiositäten, und besonders wegen der Malerwage (ld
balance des peintrer) bekannt. Diese Malerwage ist eine
vergleichende Schätzung der Malerverdienste. Er nimmt
vier Hauptverdienste eines Malers an, nämlich Composi-
tion, Zeichnung, Colorit und Ausdruck, theilt jeden dieser
vier Bestandtheile, welche zusammen einen vollkommnen
Künstler ausmachen, wieder in 20 Grad ein, und sagt nun
nach diesem Kunstmesser, Wieviel der eine oder andere
Künstler in dieser, oder jener Beziehung werth sei. So
sei z. B. Raffael in der Composition 170, in Zeichnung
in Colorit 12", im Ausdruck 18; Teniers in Com-,
Position 150, Zeichnung 120, Colorit 130, Ausdruck 6",
also in der Composition beinahe soviel werth, wie Raf-
fael, und im Colorit um 10 besser als Raffael; Ru-
bens aber sei gar in der Composition um 1'" besser, in
der Zeichnung nur 50 geringer, im Colorit aber wieder
um 5" besser und im Ausdruck nur um 1" schwächer, als
Raffael.
Trotz aller Oberilächlichkeit erhielten diese Kunst-
und Verdienstscalen dennoch einen ausgebreiteten Einfluss
und gewannen um so mehr Anhänger, als sie keinen
sonderlißherl Aufwand von Geist verlangten, um darauf
einzugehen: und Viele sehr bequem fanden, sich Worte
ohne tiefe Bedeutung anzueignen", womit sie, wenn von
Kunst die Rede war, sich und andere abfanden. Dem
Nautilus gleich, der lustig mit vollem Segel, ohne Steuer
und Compass auf dem Weltmeere daher schwimmt, wag-
ten sich nun Viele auf den Ocean der Gedanken, und
schrieben und sprachen über Kunst, besonders Italiener
und Franzosen.
Lanzi's Werk ist voll lvon solchen Meinungen,
wie man gar bald gewahr wird. Diese, wie seine wüsten
technischen Lob- und Tadelwörter, seine unkritische Ver-
wechselung von Begriffen, wie Manier und Styl, mehr als
zu rügen ist hier nicht der Ort, und es scheint hinrei-