Vinci ,
Üuonarroti
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der, Vertrauen, Mitleid, Frcudigkcit, welche immer zum Zeit-
gemässen kommen, leicht und sogleich verständlich sind, das
Herz angenehm berühren, ohne es aufzuregen, sind Vorzüge,
die sich besser fühlen, als aussprechen lassen. Wer Tibull
als Dichter fühlt, fühlt auch, was Andrea als Malerist.
An diesem Künstler kann man sehen, was Sinn und Ver-
stand vor Unterricht vermag. Er ward als Knabe von Gio.
Barile angeleitet, einem guten Holzschnitzler, der nach Raf-
f aelis Zeichnungen an den Decken und Thüren des Vaticans
arbeitete, aber als Maler unbedeutend war. Als Jüngling ward
er Pier di Cosimo übergeben, einem geübten Coloristen,
aber nicht tüchtigen Zeichner, oder Anordner; daher er hierin
seinen Geschmack nach Buonarrotfs und Vinci's Car-
tons, und, wie sich aus manchen Anzeigen schliessen lässt,
nach Masaccio's und Ghirlandajfs Wandgemälden bil.
dete, wo er mehr Gegenstände für seinen milden Sinn fand.
Er sah Rom, ich weiss nicht, in welchem Jahre, aber er sah
es doch; darüber ist meines Bedünkens, nicht wie bei Co-
reggio, zu streiten. lch schliesse dies nicht aus seinem sehr
RaffaePschcn Style, wie es auch Lommazzo und Andern
rschien, obwol er weniger ideal ist. Andrea und Raffael
hatten in Florenz nach denselben Mustern studirt, und konn-
ten ja überdies von Natur gleichen Sinn in der Wahl des
Schönen haben. Ich stütze mich blos auf Vasari. Er sagt,
Andrea sei in Rom gewesen und habe die Werke der Schü-
ler RaffaePs gesehen, aber aus Zagheit ihnen nicht gleich-
zukommen gefürchtet, und sei desshalb schnell nach Florenz
zurückgekehrt. Glauben wir aber an so viele andere Züge von
Andrea's Kleinmuth, warum wollen wir nur an diesen nicht
glauben? oder wann wird Vasar i Glauben verdienen, wenn
er in einer Thatsache, die seinen Meister betrifft, irrt? die in
Florenz kurz nach Andrea's Tode niedergeschrieben ward,
als noch seine Schüler undxFreunde, seine Frau sogar lebte?
die auch in der zweiten Auflage bestätigt wird, wo Giorgio
so Vieles, was. er in der erstenbehauptet hatte, zurücknahm?
.Und so wäre denn auch des Andrea Gdtleihcn und Fort-
schreiten zum Vollkommern nicht ein plötzliches, wie bei
manchen andern, sondern ein mäylig in Jahren zu Florenz