Vinci ,
Buonarroti
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mischt, die Engel der Offenbarung, und den Fährmann den
Acheron, den Richter Christus und Minos, der jedem Ver-
dammten seinen Kreis anweiset; wvozu nun noch die Satyro
kam, indem er dem Minos den Kopf eines Ceremonienmeisters
gab, der gegen den Papst dies Bild als ein Badstuben-, nicht
aber als Kirchenbild gemustert hatte45). Hierin mag er denn
nicht zum Muster dienen. Scannelli hat in seinem Micro-
cosmo p. 6. eine grössere Mannichfaltigkeit der Gegengewicht!
und der Muskeln nach den verschiedenen Altern vermisst;
wiewol er dem Vinci, der 1519 starb, also mit einem offen-
baren Zeitverstoss, diese Kritik zuschreibt. Albani sagt bei
Malvasia (T. II. p. 254), hätte Michelangelo Raffael
gesehen, er hätte die den richtenden Christus umstehenden
Zuschauer besser dargestellt. Ich weiss nicht, ob ihm hier
die Zusammenstellung, oder die Perspective") misfiillt; das
weiss ich, das auch hier ein Zeitverstoss obwaltet, als wäre
das Weltgerieht gemalt, ehe Raff ael nach Rom kam").
Dennoch muss ich bemerken, dass Albani Michelan-
gel0's grossem Verdienst Gerechtigkeit widerfahren liess und
nicht, wie viele unserer Zeit, drei Fürsten der Malerei unter--
schied, sondern ihn als vierten anerkannte, weil er, seines Be-
diinkens, an Form und Grossartigkeit Raffael, Coreggio
und Tizian vorausgegangen (Malv. I1, 254). Und hier
ist denn zu bemerken, dass er in dem, worin jene die Ersten
waren, wenn er Wollte, sich eben auch auszuzeichnen vermochte.
Es ist ein gewöhnliches Vorurtheil, er habe weder Schönheit,
noch Anmuth gekannt; aber die Eva in der Sistina, welche
an das Licht tretend sich zu ihrem Schöpfer wendet, und ihm
mit so schöner Gebärde dankt, ist doch sehr gefällig, und
Rosa
47) Darin tarleln ihn auch Andere. S. Valle prosa recüafa
nelP Arcadiamel 1784. p. 260 des Giorn. pfs. T- 53- L.
48) Alle die Kunntrichter, welche Michelangeloü Jüngsten
Gericht tadeln, scheinen nicht an das WTeltgericht zu denken, wo von
jedem unnützen Worte Rechenschaft gegeben werden loll. Wer meine
Meinung über Michelangelzfs jüngstes Gericht zu wissen ver-
langt, kann solche in meinen Slrerfereien im Gebiete der Kunst fin-
den. Lpz. 1814. 8. Q.