Die Persönlichkeit Lionardds.
Cloux mit allen Gnadenmitteln der h. Mutterkirche versehen und wohl-
vorbereitet." Vasarisrührende Erzählung von dem Tode des Künst-
lers in den Armen Franz des Ersten hat sich als Fabel herausgestellt.
Es ist etwas Räthselhaftes, Faustisches in der Natur dieses grossen
Mannes. Was wir von ihm hören, zwingt uns zur Bewunderung.
Aber es fehlt jenes menschlich Nahbare, das die Sympathie erweckt.
Einsam, fast wie eine Wunderbare Naturerscheinung, geht er durch's
Leben. Schon die Wiege des illegitimen Kindes ist fern von dem
traulichen Glück eines Familienkreises. Wenn der Vater ihn auch
anerkannte, so erfahren wir doch über das Verhältniss zu seinen legi-
timen Geschwistern nichts Freundliches. Jener langwierige Prozess
mit seinen Brüdern deutet nicht auf ein angenehmes Verhältniss. Eben
so wenig hat Lionardo selbst eine Familie gegründet; er blieb unver-
heirathet, obwohl er, wie Wir aus seinen Werken sehen, für weibliche
Schönheit und Liebenswürdigkeit in hohem Grade empfänglich war.
Seine Schüler waren und blieben seine einzige Familie; mit welcher
Innigkeit diese an ihm hingen, haben wir erfahren. Nicht minder
wurde uns kund, wie hoch er von Allen, mit welchen er in Berührung
kam, namentlich von den Fürsten, denen er diente, geschätzt wurde.
"Der Glanz seines schönen Angesichts, sagt Vasari, erheiterte jedes
traurige Gemüth und seine Rede vermochte die hartnäckigste Meinung
zu ja und nein zu bewegen. Jeden heftigen Ungestüm wusste er durch
die Kraft zurückzuhalten, die ihm inne wohnte. Mit natürlicher Frei-
gebigkeit bot er seinen Freunden Aufnahme und Bewirthung, gleichviel
0b sie arm oder reich waren, wenn nur Geist und Treiflichkeit sie
zierten. Den unbedeutendsten, schmucklosesten Raum verschönte und
verherrlichte er durch jede seiner Handlungen." Wie gern möchten
wir ein Bildniss seiner glänzenden Erscheinung aus der Blüthezeit
des Lebens besitzen; aber nichts derart ist uns erhalten, und nur aus
seinen späten Jahren besitzen wir mehrere Bildnisse des Meisters, von
denen das bekannte in den Uffizien befindliche indess schwerlich
ein eigenhändiges WVerk. Dagegen sind einige Handzeichnungen Lic-
nardo's, die eine in der Sammlung der königlichen Handbibliothek
zu Turin (Fig. M), eine Kopie in der Akademie zu Venedig, welche
uns den grossartigen Kopf des Meisters aus seiner letzten Lebenszeit
veranschaulichen. Es ist ein Kopf von gebieterischer Hoheit, von
"langem Haar umrahmt, das mit dem mächtigen Bart zusammeniiiesst.
Die buschigen Brauen überschatten den Blick der tiefliegenden Augen,
und in dem Munde zuckt ein Zug von Resignation. Es sind Züge, in