Buch.
Kapitel.
Lionardo
Vinci.
wollen, sei der Versuch wegen der Höhe des Raumes missglückt.
Vasari dagegen schiebt, wie wir oben erzählt, die Schuld des Miss-
lingens auf den schlecht bereiteten Bewurf der Wand, der sich abgelöst
habe. Wie dem auch sein mag, wir sehen auch hier wieder den unab-
lässig nach Lösung neuer Probleme strebenden Geist des Meisters.
Lionardo wohnte damals längere Zeit als Gast im Hause seines
Freundes Giov. Franc. Rustici, der als vornehmer und vermögender
junger Mann die Kunst mehr zu seinem Vergnügen trieb. Nach
_Vasari's Zeugniss half Lionardo ihm bei der herrlichen Gruppe des
predigenden Johannes, welche man über dem Nordportale des Bap-
tisteriums zu Florenz sieht. Die psychologische Feinheit und Tiefe
der Charakteristik, namentlich in der mit Misstrauen und Widerwillen
kämpfenden und doch tief erregten Aufmerksamkeit des Pharisäers und
Leviten deuten zum mindesten auf die geistige Mitwirkung Lionardds.
In dieselbe Zeit fällt nun auch das Bildniss der Gemahlin des
Francesco del Giocondo, welches unter dem Namen der Mona Lisa
(Madonna Lisbetta) einer der kostbarsten Schätze der Sammlung des
Louvre ist, dort unter dem Namen la Joconde bezeichnet. In diesem
wunderbaren Frauenbildniss, an welchem er mit Unterbrechungen vier
Jahre bis 1506 gemalt, hat der Meister das Höchste geschaifen, das
der Bildnissdarstellung zu erreichen möglich ist. Es ist nicht bloss
die schon von Vasari gepriesene wundergleiche Feinheit und Zartheit
in der Durchbildung der Form, die bis in die kleinsten Einzelheiten
sich zu erkennen giebt, ohne den Gesammteindruck zu beeinträchtigen,
sondern mehr noch der geheimnissvolle Reiz einer durch die edelste
Bildung der Renaissance verklärten Frauengestalt, die mit dem räthsel-
vollen Blick dieser Augen und dem sphinxgleichen Lächeln des Mundes
uns bezaubert. Leider sind die warmen Fleischtöne des Gesichtes ver-
schwunden, so dass das Antlitz jetzt eine unheimliche Blässe aushaucht,
nur in den schönen unvergleichlich fein modellirten Händen, zu denen
die Windsor-Sammlung (Nr. 69) die Röthelstudie besitzt, haben sich
diese Töne besser erhalten. Es scheint, dass Lionardo, wie so oft im
Streben nach höchster Vollendung, Farben angewendet hat, welche sich
nicht bewährten. Ein zarter Duft umspielt die Formen, den Hinter-
grund bildet eine Gebirgslandschaft, die indess kaum noch zu erkennen
ist. Man muss annehmen, dass Lionardo dieses Bild nicht für den
Gemahl der Dame, sondern für sich selbst ausgeführt hat. Jedenfalls
steht fest, dass schon Franz I. dasselbe um die damalsbedeutende
Summe von 12,000 Livres für seine Galerie von Fontainebleau erworben