Ende
Mailänder
Zeit.
Traktat über
Malerei.
Kurze Zeit darauf wurde Lodovico durch die Heere Ludwigs XII. aus
Mailand vertrieben und zur Flucht nach Deutschland genöthigt. Damit
schloss für Lionardo die bedeutendste Epoche seiner Thätigkeit, welcher
seine besten Mannesjahre angehörten. Vorher hatte er aber noch
während der Arbeit an dem Abendmahl eine Himmelfahrt Maria in
Leimfarben für den Herzog ausgeführt. Die Madonna war von einem
Chor von Engeln umschwebt, und am Fuss des Bildes knieten in Ver-
ehrung der Herzog und seine Gemahlin, vom h. Dominicus und Petrus
Martyr empfohlen. Das Gemälde bildete einen Halbkreis und befand sich
über dem Eingang der Kirche St. Maria delle Grazie; als es aber 1726
herabgenommen wurde, um in Fresko copirt zu werden, wurde es eben-
falls von dem dämonischen Geschick ereilt, welches die Werke Lionard0's
mit Vorliebe zu verfolgen scheint: es ist seitdem spurlos verschwunden.
Nicht genug mit diesen bedeutenden Arbeiten, wandte Lionardo
sich besonders während seines Aufenthalts in Mailand wissenschaftlichen
Studien zu und zeichnete nicht bloss die Illustrationen zu seines Freundes
Luca Pacioli Abhandlung über die Perspektive, sondern entwarf auch
den umfangreichen Traktat über die Malerei. Dieses WVerk, über
dessen verschiedene Redaktionen und Ausgaben wir eine gründliche
Arbeit von M. Jordan besitzeng), ist nicht so sorgfältig literarisch aus-
gearbeitet wie das des Leo Battista Alberti, besteht vielmehr grössten-
theils aus kurzen Notizen, vortrefflich geeignet bei der Unterweisung
zu Grunde gelegt und zu weiteren mündlichen Ausführungen benutzt
zu werden. Bewundernswerth ist überall die Feinheit und Scharfe
der Beobachtung, namentlich die der früheren Kunst noch so gut wie
verschlossene Lehre von der Luftperspektive, und von jener duftigen
Verschleierung der Umrisse (Sfumato), welche den Kernpunkt der
eigentlich malerischen Darstellung ausmacht. Nicht minder tief und
gründlich sind seine Bemerkungen über die menschlichen Proportionen,
über die Bewegungen und das Spiel der Muskeln, über den Ausdruck
der verschiedenen Ernpßndungen, über die Wirkung von Licht und
Schatten und ihren Einfluss auf die Farben, über die Gesetze der
Linearperspektive und die Nothwendigkeit, cyklische Darstellungen aus
einem und demselben Augenpunkte zu entwerfen, eine Wahrheit,
welche z. B. den Malern der Eremitani-Kapelle zu Padua noch ver-
schlossen war. Man darf sagen, dass dieser erstaunliche Geist den
Inbegriff der modernen Blalerei bereits vollkommen erschöpft hat.
des Lionardo
Malerbuch
Das
von
Vinci,
Jordan
Leipzig
1873.