Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

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Buch. 
III. 
II. Kapitel. 
Vinci. 
Lionardo 
grössten Meisterwerke Lionardds übrig geblieben. Unter der öster- 
reichischen Regierung wurden wenigstens mit Behutsamkeit die Spuren 
der späteren Üebermalungen beseitigt, so dass nun das freilich ver- 
blichene und fast hingeschwundene Werk des grossen Meisters doch 
nicht mehr durch fremde Zusätze entstellt ist. Wenn man mit der 
Kenntniss des mit grösster Sorgfalt und mit Benutzung aller vorhan- 
denen Hülfsmittel ausgeführten Stiches von Rafael Morghen den Raum 
betritt, so ist immer noch der Eindruck ein feierlich ergreifender. 
Lionardo hat sein Bild in einer Breite von 28 Fuss bei 13 Fuss 
Höhe an der einen Schmalseite des Saales ausgeführt, indem er den 
Figuren mehr als das Anderthalbfaehe der Lebensgrösse gab. Das 
Abendmahl des Herrn war seit alten Zeiten der an dieser Stelle ge- 
bräuchliche Gegenstand. In dem Saale, wo der Abt oder Prior mit 
den Brüdern bei den täglichen Mahlzeiten sich versammelte, wollte 
man das Abbild des Herrn mit seinen Jüngern haben, die von der 
gegenüberliegenden Wand als ideale Vorbilder auf ihre Nachfolger 
herabblickten. Die florentinisehe Kunst namentlich hatte dafür die 
herkömmliche Form ausgeprägt, dass Christus mit seinen Jüngern an 
der Rückseite einer langen Tafel ruhig neben einander dargestellt 
wurde, nur dem Verräther wies man den einsamen Platz anader ent- 
gegengesetzten Seite der Tafel an, so dass er dem Beschauer den 
Rücken zukehrte. Diese Anordnung in ihren Grundzügen war bis auf 
Ghirlandajo (I. S. 336) bei den Florentinern die herrschende geblieben. 
Lionardo behielt sie bei, löste aber den monotonen Parallelismus der 
ruhig neben einander Sitzenden zu mächtig bewegter dramatischer 
Cornposition auf (Fig. 7), indem er den Moment wählte, wo Christus 
die Worte spricht: „Einer unter Euch wird mich verrathen." Wir 
sehen die hoheitvolle Gestalt des Erlösers in_ der Mitte des Bildes sitzen, 
das edle Haupt sanft zur Linken geneigt und mit wehmuthvoll um- 
fiorteni- Blick deniAusspruch bestätigen, den die Bewegung der geöff- 
neten linken Hand wie in stiller Resignation begleitet. Ein Sturm 
der mannichfaltigsten Empfindungen durchbebt die Jünger, heftigere 
Wellen schlagend in der Nähe des Heilands, ruhiger verrauschend 
nach beiden Enden der Tafel. Dennoch ist selbst in den leidenschafts- 
losesten die Erregung unverkennbar, und die ganze Composition mit 
ihrem hoehidealen Mittelpunkte und den beiden stürmisch bewegten 
Flügeln hat etwas, das an die antike Gruppe der Niobe mit ihren 
Kindern erinnert. Meisterhaft ist nun, wie der grosse Künstler durch 
jenes dramatische Motiv die zwölf Jünger in vier Gruppen zu je drei
	        
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