Moretto.
Bresciauuer :
613
Tizian ihresgleichen findet. Damit verbindet sich ein milder, bisweilen
wehmuthvoll angehauchter Ernst innig religiöser Empfindung, wie er
wenigen Künstlern dieser Zeit eigen ist. Von Moretto's Studiengang
ist uns wenig überliefert. Er mag zuerst unter Ferramola sich der
Kunst gewidmet haben, mit dem wir ihn 1518 an den Orgelbildern im
alten Dom zu Brescia beschäftigt finden. Doch darf wohl daran erin-
nert werden, dass Civerchio, der ebenfalls in Brescia thätig war, in
seinem Altarwerk zu Crema vom Jahr 1519 (I, 501) eine auffallende
Verwandtschaft mit Moretto verräth, der damals kaum schon zu ähn-
licher Freiheit des Stils durchgedrungen war. Jedenfalls bekunden die
frühesten Arbeiten des jungen Meisters entschiedene Anklänge an die
Venezianer, namentlich an Palma und Tizian, mit denen sich dann
Einflüsse des erheblich älteren Romanino kreuzen. Als er 1521 mit
diesem sich in die künstlerische Ausstattung der Sakramentskapelle in
S. Giov. Evangelista zu Brescia theilte und er dort Elias in der Wüste,
die Mannalese, das Abendmahl, sowie die Evangelisten Markus und
Lukas und einige Prophetenbrustbilder ausführte, verrieth er in diesen
Werken schon eine überaus würdige und lebensvolle Auffassung, die
sich den ebendort befindlichen Arbeiten Romaninds überlegen zeigt.
Schon hier klingt ein Zug rafaelischer Anmuth hinein, der in der Folge
sich noch kräftiger bei Moretto geltend macht, ohne ihn jedoch zu
einer äusserlichen Nachahmung rafaelischer Typen zu verführen. Offen-
bar hat der Künstler Kupferstiche nach dem grossen Ürbinaten studirt,
dessen Formenadel und Seelenreinheit ihm innerlich so verwandt waren,
dass sie unwillkürlich in seine Auffassung eindrangen. So gewann sein
Stil einen Adel im Faltenwurf, in weihevoller Schönheit der Köpfe
und ergreifender Würde des Ausdrucks, wie wir ihn bei keinem An-
dern in der ganzen Gruppe der Venezianer antreffen.
Ganz herrlich zeigt sich diese grossartige Auffassung in dem
mächtigen Altarbild der Krönung Mariä in S. Nazaro e Celso, mit
S. Franziskus und Nikolaus, dem jugendlichen Erzengel Michael und
dem knieenden Joseph. (Fig. 134.) Grossartig aufgebaut und doch in
freier malerischer Anordnung, bietet es einen Zusammenklang frei be-
wegter Gestalten mit herrlich abgestuftem Ausdruck der Empfindung
und in einer vollkommen weich verschmolzenen und doch kräftigen
Farbe. In der weihevollen Gestalt der Madonna, mit dem herrlichen
an Palma erinnernden Kopfe ist die sinnliche Ueppigkeit jenes Meisters
zu hohem Adel umgebildet; auch Christus ist in Gestalt, Ausdruck
und Bewegung voll Würde; unter den prachtvoll charakterisirten