Buch.
Kapitel.
Lionardo
Vinci.
Zeitfolge festzustellen. In den Anfang der Mailänder Zeit gehört wohl
das schöne Bild, welches unter dem Namen der nvierge aux rochers"
nach dem im Louvre zu Paris aufgestellten Exemplare allgemein be-
kannt ist. (Fig. 4.) Waagen ertheilt dem im Besitz des Lord Sulfolk
befindlichen Exemplar den Vorrang, indem er dasselbe, das aus der
Kirche S. Francesco zu Mailand stammen soll, als ein eigenhändiges
Werk, das im Louvre befindliche dagegen als Schulkopie bezeichnet.
Gewiss ist, dass das Pariser Exemplar bereits der Sammlung Franz I.
angehörte; allein ein sicheres Urtheil ist kaum mehr zu gewinnen, da
das Bild stark gelitten hat und ausgedehnte Retouchen zeigt. Gewisse
Feinheiten: wie die ausgestreckte Hand des Engels und die Rechte der
Madonna, sind wohl Lionardo's würdig, dagegen können die schwülsti-
gen Kindergesichter und die übertriebene Muskulatur ihrer Körper,
sowie die blauen Schatten auf der Stirn des kleinen Johannes unmög-
lich von Lionardo herrühren. Eine andre Schulkopie befindet sich im
Museum zu Neapel. In der Composition an sich verräth sich die
Eigenthümlichkeit Lionardds aus jener frühen Epoche, in Welcher sein
Naturalismus noch in's Phantastische hinübergreift, das hier jedoch den
Ausdruck poetischer Stimmung erreicht. In einer Felsgrotte, die den
Ausblick auf einen von steilen Klippen eingefassten Fluss gewährt,
kniet die Madonna in traulicher Weltabgeschiedenheit vor dem am
Boden sitzenden Christuskinde, welches von einem zur Seite knieenden
Engel gehalten wird. Der Kleine macht naiv mit der Rechten die
Geberde des Segnens gegen seinen Spielkameraden Johannes, der, von
der Madonna liebevoll umfasst, in einer Bewegung inniger Anbetung
mit gefalteten Händen knieend sich vorbeugt. Die Composition, in
ihrer freien Symmetrie, ist vom schönsten Aufbau, die Durchführung
in Zeichnung und Modellirung von höchster Sorgfalt, besonders die
Köpfe der Madonna und des Engels mit den lieblichen Zügen und den
reichen Locken von einer Feinheit, wie wir sie nur an Lionardo kennen;
dies Alles, sowie die übergrosse Zierlichkeit der Landschaft mit ihren
phantastischen Felsen und den mannichfachen Blumen des Vordergrundes
ist von jener Zartheit und Vollendung, jener Freude am Detail, wie
sie Lionardo von Florenz mitgebracht hatte. Auch die etwas ge-
zwungene Handgeberde des Engels, zu welcher eine Sepiastudie sich
in der Windsor-Sammlung (Nr. 71) findet, ist acht llorentinisch. Es
liegt aber über dem Ganzen der Hauch einer Naturpoesie, wie ihn
in solcher Vergeistigung vielleicht nur noch Dürer besitzt.
Andere Bilder dieser Zeit sind spurlos verschwunden. S0 eine