602
Buch.
Kapitel.
XIII.
Die Maler
des venezianischen
Festlandes,
und das saftig grüne Kleid der Begleiterin. Kaum minder vortrefflich
die Sibylle der Pinakothek zu München, die man indess vielleicht dem
Giorgione zuschreiben darf (vgl. S. 499), eine köstliche Frauengestalt
von grossen freien Formen, das Kolorit rosig angehaucht, das grüne
Gewand und der Weisse weite Aermel effektvoll gemalt.
Von Nachfolgern des Meisters ist zunächst Bernardino Licino zu
nennen, ein weitläufiger Verwandter Pordenonds, der oft mit ihm ver-
wechselt wird. Auch er hat seine erste Ausbildung in der Heimath
erhalten, suchte dann aber in Venedig die Bekanntschaft mit der dortigen
Kunst, wo er hauptsächlich durch das Vorbild Gi0rgione's und Palmafs
bestimmt wurde. Später kam er auf seinen Wanderungen auch in die
Lombardei, wo er dann u. A. mit Palladio in Berührung trat und diesen
grossen Baumeister porträtirte. Seine Bilder fallen zwischen die Jahre
1524 und 1542.
Was zunächst seine kirchlichen Gemälde betrifft, so bilden sie
nicht die starke Seite seines Schaffens, und man merkt, dass er nicht
mit dem Herzen dabei war. Wenig erfreulich ist eine Tafel mit den
Heiligen Agnes, Katharina und Lucia vom Jahr 1530 in der Galerie zu
Rovigo, bezeichnet mit dem Namen des Künstlers, sowie eine heil.
Familie in der Galerie Manfrin. Einmal jedoch hat er sich zu be-
deutender Kraft und grossartiger Wirkung aufgeschwungen, in dem
Altarbild der zweiten nördlichen Chorkapelle der Frari. Es ist eine
thronende Madonna mit zehn Heiligen, bezeichnet „Bernardini Lycini
Opus". Allerdings bewegt sich die überaus tüchtige Charakteristik in
nicht sehr edlen, vielmehr derb realistischen Typen nach Art Pordenonds,
auch die eigenthümliche Bewegtheit der Gestalten erinnert an jenen
Meister. Aber das prachtvoll glühende Kolorit und die gediegene
Durchbildung bezeugen den energischen Wetteifer mit Tizian. Ein
ähnlich bedeutendes Werk vom Jahr 1535 soll sich in der Pfarrkirche
zu Saleto befinden.
Weit glücklicher bewegt sich der Künstler in Aufgaben weltlicher
Art, und zwar sowohl im Porträt wie in jenen poetischen Halbtiguren-
bildern, welche durch Giorgione und Palma beliebt geworden waren.
So in der Galerie Sciarra zu Rom eine Salome, welche vom Henker
das Haupt des Johannes auf einer Schüssel empfängt. Es ist ein Bild
von sentimentalem Anflug, oberflächlich im Ausdruck, gewandt, aber
nicht bedeutend in der Behandlung und daher sehr mit Unrecht dem
Giorgione zugeschrieben. Eine schwächere Wiederholung mit Hinzu-
fügung noch einer weiblichen Figur in der Galerie Leuchtenberg zu