Francesco
Vecellio
Bonifazio.
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und ihn zur Alleinherrschaft in der venezianischen Malerei gelangen
liess. Nicht allein die ganze jüngere Generation gerieth in die Ab-
hängigkeit seines mächtigen Geistes, sondern auch seine mitstrebenden
Gefährten, auf welche zuerst noch Giorgione und Palma Vecchio ein-
gewirkt hatten, fielen im Lauf der Zeit seinem Alles fortreissenden
Einfluss anheim. Unter seiner unmittelbaren Leitung entwickelte sich
eine ganze Reihe von Künstlern zweiten, ja selbst dritten Ranges zu
einer Bedeutung, wie sie in keiner der andern Schulen sich so nach-
haltig bemerken lässt. Sein Bruder Francesco Vecellio ist uns u. A.
durch ein grosses Altarwerk der thronenden Madonna mit Heiligen
von 1524 in der Kirche von San Vito und durch die nicht minder
tüchtig gemalten Orgelfiügel in San Salvatore zu Venedig vortheil-
haft bekannt. Die meisten Schüler und Gehilfen, wie z. B. Cam-
pagnola, Polidoro Veneziano und manche Andere waren in seiner
Werkstatt überwiegend als Gehilfen bei seinen massenhaften Aufträgen
vollauf beschäftigt. Wie wenig Selbständigkeit die Schüler dabei
meistens behielten und wie Vortreffliches sie gleichwohl häufig zu
leisten vermochten, erkennt man nirgends so deutlich wie an den zwei
oder drei Malern, welche man unter dem Namen Bonifazio zusammen-
fasst. Es scheinen in der That mehrere Künstler dieses Namens in
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts thätig gewesen zu sein und
einer Künstlerfamilie aus Verona angehört zu haben. Nach Berna-
sconi war der ältere Bonifazio ein Schüler von Palma Vecchio, trat
1523 in die Malerzunft zu Verona und starb 1540. Der zweite, welcher
im Jahr 1553 starb, dürfte der Bruder des ersteren gewesen sein; ein
dritter aber, der bis 1579 malte, gehörte dann wohl einer jüngeren
Generation an. Es wird auf dem jetzigen Stande der Forschung kaum
möglich sein, die Arbeiten dieser verschiedenen Künstler zu sondern,
zumal sie alle durch eine feste Schultradition zusammengehalten werden
und ohne tiefere Eigenthümlichkeit sich dem Stil Tizian's, dem Gepräge
seiner Gestalten, der Anordnung seiner Compositionen, vor allem seinem
Kolorit so sehr anschliessen, dass man auf den ersten Blick nicht
selten Tizian selbst vor sich zu haben glaubt. Dies gilt z. B. von
der Madonna in der Akademie zu Venedig Nr. 326, einem jener Breit-
bilder mit landschaftlichem Grunde, wie sie Palma Vecchio aufgebracht
hatte. Dieselbe Sammlung besitzt eine grosse Anzahl von trefflichen
Bildern dieses Namens; vor allem das Urtheil Salomon's Nr. 55, ein
herrliches Werk voll dramatischen Lebens, mit trefliichen volksthüm-
liehen Gestalten in einer reich entwickelten Gebirgslandschaft. Auch