562
Buch.
XII.
Kapitel.
Venezianer.
Ein eigenthümliches mit allegorischen Zuthaien verquicktes Werk
ist das Porträt des berühmten kaiserlichen Feldherrn D'Avalos, Marchese
del Gruasto im Louvre. Tizian stellte ihn dar, wie er von seiner schönen
Gemahlin Abschied nimmt, während er durch die allegorischen Gestalten
des Hymen und der Victoria getröstet wird und Amor ein Bündel mit
Pfeilen herbeischleppt. Das köstliche Werk, dessen edle Frauenköpfe
von zartem Reiz sind, ist durch das glühende und dabei durchsichtig
klare Kolorit, die feine Modellirung des Fleisches in vollem Licht von
hohem Reiz. Denselben Feldherrn musste Tizian später in einem
Bilde des Museums zu Madrid darstellen, wie er eine Ansprache an
seine Truppen hält, ein Werk, das freilich durch Uebermalung arg
entstellt ist. Auch Franz I. liess sich von dem Meister malen und
zwar ohne ihm zu sitzen, bloss nach einer Medaille. Auf dem Bilde
im Louvre, welches deshalb den widerwärtigen Kopf des Königs
im Profil zeigt, sieht man mit Erstaunen, wie gross und frei der
Künstler auch eine solche schwierige Aufgabe zu lösen wusste.
Weiter sind von fürstlichen Persönlichkeiten Isabella von Este, Ge-
mahlin des Markgrafen von Mantua zu nennen, deren schönes
Porträt sich im Belvedere zu Wien befindet, köstlich weich ge-
malt, von duftigem Schmelz der Carnation und von unvergleichlicher
Frische, dabei bis in's Kleinste eins der pompösesten Kostümbilder
jener Zeit. Dieselbe Fürstin kehrt noch einmal mit einem Knaben in
der Ermitage zu Petersburg wieder. Aus dem Jahre 1537 stammen
sodann die Bildnisse des Herzogs Francesco Maria von Urbino und
seiner Gemahlin Eleouora Gonzaga in den Uffizien, wiederum Meister-
werke charaktervoller Auffassung und fein individualisirender Behand-
lung. Eine bedeutende Schöpfung ist sodann aus demselben Jahre das
Porträt des venezianischen Admirals Giovanni Moro im Museum zu
Berlin, ausgezeichnet durch Kraft des Kolorits. Bald darauf entstand
das meisterhafte Bild des berühmten venezianischen Staatsmannes und
Gelehrten Pietro Bembo im Palazzo Barberini zu Rom, welches den
geistvollen Mann im Kardinalskostüm zwar hochbetagt, aber noch voll
Leben verführt. Eins der grössten Meisterwerke ist ferner das im
Museum zu Neapel befindliche Porträt Paul's IIL, meisterlich breit
und frei gemalt, das Abgelebte, Zusammengesuukeneder Erscheinung
grossartig ausgedrückt. Auf dieses Bild bezieht sich vielleicht die von
Vasari erzählte Anekdote: als der Künstler das Bild zum Trocknen
in's Freie gestellt habe, seien die Vorübergehenden, von der frappanten
Lebenswahrheit ergriffen, niedergekniet, um den Segen des Papstes zu