556
Buch.
XII.
Kapitel.
Venezianer.
Die
jetzt in der Sammlung des Louvre. Tizian zeigt sich in diesem Bilde
auf den Wegen des venezianischen Realismus, dem er in der Gestalt
des Pagen und in der Hinzufügung von Hund und Katze, die unter
dem Tisch liegen, Zugeständnisse macht; aber der Kopf des Erlösers
in seinem milden Ernst ist voll Hoheit, und die Färbung des Ganzen
bei kühner Breite der Behandlung immer noch von tief leuchtendem
Ton. In derselben Sammlung befindet sich ein andres Werk dieser
späten Zeit, welches in den Ausgang der fünfziger Jahre zu fallen
scheint. Es ist das grosse Bild der Dornenkrönung Christi, mächtig
und ergreifend im Ausdruck des Leidens, aber zu massig in den Formen,
zu derb, ja roh in der Schilderung brutaler Gewaltthat und auch in
der Farbe etwas zu schwer. In solchen Arbeiten erkennen wir bereits
den Umschwung der Zeitstimmung, die Herrschaft jener durch die
Gegenreformation und den Jesuitismus herbeigeführten Tendenz, mit
möglichst drastischen Mitteln auf die Phantasie der Gläubigen zu wirken
und sie mit neuen Banden fester an die Kirche zu ketten. Dieselbe
Stimmung herrscht auch in der Marter des h. Laurenzius, welche um
die gleiche Zeit (seit 1556) ausgeführt wurde und sich noch an ihrem
ursprünglichen Platz in der Kirche del Gesü zu Venedig befindet.
Der Meister hat das Martyrium des Heiligen unter tief nächtlichen
Himmel verlegt und lässt tms den entsetzlichen Vorgang, spärlich be-
leuchtet durch das Licht einer Fackel und durch die Flammen, welche
unter dem Rost angezündet werden, mehr ahnen als genau erkennen.
Die wilde Geschäftigkeit der Henker, der ergreifende Ausdruck des
Gemarterten, der die qualvollen Blicke zum Himmel sendet, die Kühn-
heit der Bewegungen, die Breite malerischer Behandlung verleihen diesem
Werke den Ausdruck erschütternder Tragik. Meisterlieh sind die ver-
schiedenen Lichteffekte behandelt, um die Stimmung ins Dämonische
zu steigern und das Grässliche des Vorgangs mit mildem Schleier zu
verhüllen. Mit dem röthlichen Lieht der Fackeln und des Holzstosses
contrastirt herrlich der silberne Glanz des Mondes, der eben mit seinem
tröstlichen Schein durch die Wolken bricht. So ist der Beleuchtungs-
effekt bewundernswürdig dem geistigen Inhalt dienstbar gemacht. Noch
später (1559) entstand die für Philipp II. ausgeführte Grablegung,
welche man im Museum zu Madrid sieht, wiederum ein Werk von
grossartiger Kraft und erschütternder Macht des Ausdrucks. Eine
etwas abweichende Wiederholung besitzt das Belvcdere zu Wien, im
Schmerzensausdruek, der Farbenstimmung, dem Typus der Köpfe merk-
würdig an Correggio anklingend.