Tizian.
Spätere Werke.
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Composition eine andere, einfachere Auffassung. Die Madonna schwebt,
ganz in den blauen Mantel gehüllt, auf Wolken knieend empor, und
während sie die Hände zum Gebet erhebt, senkt sie den Blick des
schönen Antlitzes abwärts auf die Gruppe der Jünger, die staunend
das leere Grab umringen. Einige blicken fragend hinein, andere weisen
nach oben und schauen der von Licht umiiossenen Erscheinung sehn-
suchtsvoll nach. Die Kraft der Charaktere, die Geistesblitze der Köpfe,
die glühende Tiefe des Kolorits, in welchem rothe und braune Töne
überwiegen, der herrliche Zusammenklang und die breite, grossartige"
Malerei zeigen den Meister noch auf der vollen Höhe der Kraft. Nur
die Schatten sind nicht mehr so durchsichtig klar wie sonst, verrathen
vielmehr in ihren schweren Tönen den Beginn seines Altersstils. Noch
entschiedener zeigt sich derselbe auf dem grossen Ecce homo vom
Jahr 1543 im Belvedere zu Wien, welches Tizian für einen reich
gewordenen Grosshändler Martino d'Anna, eigentlich Martin von der
Hanna, ausführte. llrIan sieht auf einer grossen Freitreppe Pilatus den
gemarterten Heiland dem Volke vorführen, welches in kaum zu bän-
digender Wuth sein vkreuzige ihn" schreit. Am meisten bleibt hier
Tizian in dem Antlitz Christi hinter den idealen Anforderungen zurück,
und auch in einzelnen genrehaften Figuren, wie dem Jungen mit dem
Hunde im Vordergrunde, sind störende Elemente eingemischt, wie denn
auch die Behandlung nicht frei von Derbheiten und von schweren
Schatten. im Fleisch geblieben ist. Dennoch erstaunt man auch hier
bei dem sechsundsechzigjährigen Meister über die dramatische Gewalt,
die Kraft und Kühnheit, die Fülle eines mächtigen, wenn auch nicht mehr
durchweg edlen Lebens. In noch späterer Zeit, um 1554, entstand
für Philipp II. das Bild der Dreieinigkeit, welches man im Museum
zu Madrid sieht, ein Werk, welches trotz einer gewissen Gezwungen-
heit in der Bewegung der Gestalten und der gesammten Anordnung
immer noch durch Kraft und Fülle des Tons genug des Bewunderns-
würdigen bietet. Dazu gehörten ein Ecce homo und die schmerzen-
reiche Mutter, beide noch jetzt in derselben Sammlung, Schöpfungen
von tief ergreifendem Seelenausdruck und edler Farbenstimmung. Kurz
vorher hatte er für denselben königlichen Besteller die Tafel der
h. Margaretha ausgeführt, welche sich, leider in übel zugerichtetem
Zustande, ebendort befindet.
Zu den bedeutendsten Werken dieser späteren Zeit gehört das
Gastmahl in Emmaus, gegen Ausgang der vierziger Jahre für den Herzog
Gonzaga gemalt, später im Besitz Karls 1., dann Ludwigs XIV. und