554
Buch.
XII.
Kapitel.
Venezianer.
Die
eines Flusses, über welchen eine hochgespannte Brücke führt. Im
Vordergrunde rechts sieht man die Reiterei der Venezianer mit wehenden
Standarten und bewimpelten Lanzen auf die Brücke zusprengen, während
ganz vorn der Feldherr, dem ein Page die Achselschnüre befestigt, zu
Fuss am Ufer stehend, den Angriff leitet. Zwei venezianische Anführer
sieht man dem Gros voraus im Galopp über die Brücke mitten in
den Feind hineinsprengen, der von einer andern venezianischen Abthei-
lung von links her in die Flanke genommen, trotz verzweifelter Gegen-
wehr das steile, felsige Ufer hinab in den Fluss gesprengt wird. Die
Klarheit der Composition und die kühne Lebendigkeit der Bewegungen
beweist, dass Tizian auch im dramatischen Historienbild die volle Höhe
der Meisterschaft behauptet. Zugleich erkennt man den grossen Land-
schafter in der trefflichen Darstellung des Ierrains, das im Mittelgrund
eine sanft ansteigende Thalsohle bietet, rings von schroffen Höhen ein-
geschlossen, welche zur Linken die in Flammen aufgehenden Gebäude
von Cadore mit dem Zinnenkranz und den Thürmen seines Castells
krönen. Um das Geschick des geschlagenen Feindes vollends zu be-
siegeln, sieht man das venezianische Fussvolk mit wehenden Fahnen
den Thalgrund herabsteigen, während im Hintergrund eine zweite Ab-
theilung der ersten in einiger Entfernung folgt. Die ganze Scenerie
in ihrem mächtigen Gebirgscharakter verstärkt in ergreifender Weise
den grossartigen Eindruck dieser genialen Composition. Die Wirkung
des Bildes war schon bei den Zeitgenossen eine so bedeutende, dass
dem- Meister das Staatspatent zurückgegeben wurde. Ohne Frage hat
die gewaltige Kunst Michelangelds beim grossartigen Aufbau der
Gruppen, ihren kühnen Bewegungen und Verkürzungen dem Meister
vorgeschwebt.
Nach diesem Zwischenfall sehen wir Tizian in alter lIVeise unab-
lässig fortfahren, den zahlreichen Aufträgen, welche von allen Seiten
an ihn gelangten, mit einer künstlerischen Kraft gerecht werden, welcher
die Jahre nichts anzuhaben vermochten. Nie hat sich in einem andern
Meister geistige und körperliche Gesundheit in gleicher Frische bis
in's höchste Lebensalter weit über die Gränze dessen, was sonst den
Menschen zugetheilt wird, erhalten. Wir beschränken uns darauf,
die wichtigsten seiner späteren Werke kurz zu erwähnen. Um mit
den kirchlichen Bildern zu beginnen, nennen wir zunächst die Himmel-
fahrt der Madonna im, Dom zu Verona, die in den Anfang der
vierziger Jahre zu fallen scheint. Das Bild hat nicht die feierliche Gewalt
der berühmten Assunta in Venedig, verräth vielmehr namentlich in der