T izian.
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Schlacht
Cadore.
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dieser Zuthaten ist das Werk immer noch einer der herrlichsten Schätze
jener reichen Sammlung. Tizian hat die Form des Ceremonienbiltles,
wie Carpaccio und Gentile Bellini sie gegeben hatten, noch einmal mit
naiver Lust aufgenommen und mit der ganzen Majestät der frei-
gewordenen Kunst zu höchster Lebensfüllc entfaltet. Sein Werk bildet
daher den Uebergang zu den grossen Prunkdarstellungen Paolo
Veronesds. Dabei erfüllt er Alles mit dem Ausdruck freudiger Theil-
nahme, von der herzigen Gestalt der kleinen Maria in ihrem blauen
Kinderkleidehen bis zu dem feierlichen, voll Staunen die Hände er-
hebenden Hohenpriester. Von gleicher Lebensfülle, voll Würde und
Anmuth endlich sind die mannichfachen Gestalten der Zuschauer, die
etwas von dem grossen Stil haben, Welchen die Florentiner in solchen
Darstellungen erreichen. Menschenleben, Architektur und landschaft-
liche Ferne sind in diesem breit und frei mit Wunderbarer Farben-
pracht und herrlicher Gliederung durch fein abgestufte Licht- und
Schattenmassen gemalten Bilde zu solcher Harmonie zusammengestimmt,
dass man über die Meisterschaft staunen muss, welche diese Leinwand
von fast 12 Fuss Höhe und 25 Fuss Breite zu beherrschen wusste.
Während Tizian diese gewaltigen Werke schuf, traf ihn im
Jahre 1537 der harte, aber nicht unverdiente Schlag, dass ein Dekret
der Regierung ihm befahl, die seit 1516 erhaltene Jahresbesoldung der
Sanseria zurückzuzahlen, weil er die an diese Pfründe geknüpfte Be-
dingung zu erfüllen versäumt habe. In der That hatte Tizian im
Drange massenhafter Aufträge seine Verpflichtung, im Ratlissaale ein
grosses Schlachtbild auszuführen, sträflich verabsäumt, und da gerade
Pordenone in Venedig auftrat und als flotter F reskomaler schnell sich
allgemeine Anerkennung errang, so drohte man, diesen an seine Stelle
zu setzen. Nun zögerte Tizian nicht" länger, und in kurzer Zeit hatte
er das riesige Bild der Schlacht von Cadore vollendet, welches
später durch den Brand von 1577 mit so vielen andern Kunstwerken
zu Grunde ging und nur noch durch die Skizze in den Üffizien und
den Stich Fontana's erhalten ist. Die Schlacht hatte 15GB zwischen
den Kaiserlichen und den Venezianern stattgefunden. Die ersteren
hatten Oadore und sein Castell eingenommen und suchten von dort
aus vorzudringen. Die Venezianer aber wussten sie zu umgehen, die
oberen Engpässe des Gebirges zu schliessen, und durch einen combi-
nirten Front- und Flankenangriff den Feind zu schlagen. Aehnlich wie
Rafael in der Constantinsschlacht und wie früher schon Lionardo in
seinem Carton, verlegt Tizian das entscheidende Treffen an das Ufer