Tizian.
Petrus Martyr,
Magdalena.
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zu Boden geworfen; sein Gefährte, ebenfalls ein Ordensbruder, ent-
weicht voll wilden Entsetzens, das sich unübertreiflich in der jähen
Wendung seines Körpers, dem Angstausdruck des Kopfes, dem stieren
Blick und dem wirren Haare ausspricht. Der Mörder, eine gemeine
untersetzte Figur, hat den zu Boden gestürzten heiligen Mann beim
Gewande ergriffen und holt eben zum wilden Stoss aus, um ihn vollends
zu tödten. Da fällt mitten in diese tragische Scene voll Leidenschaft
und Graus ein Lichtstrahl vom Himmel, der die Kronen der hohen
Bäume durchbricht und bis in das Helldunkel des Dickichts seine
Reflexe wirft. Aus der Höhe schweben zwei wunderliebliche Engel-
knaben herab, um dem Märtyrer die Palme zu bringen. Mit schon
brechendem Auge gewahrt dieser die himmlischen Boten und streckt
in letzter Kraft die Linke wie beschwörend gegen sie empor. S0
überstrahlt eine iiberirdische Glorie die schwarze Schreckensthat, erfüllt
den Sterbenden mit dem süssen Gefühl der nahenden Seligkeit und
giebt dem Beschauer jene erhöhte Stimmung, jene Versöhnung, welche
der wahren Tragödie nicht fehlen darf.
Wie poetisch und schön dies vom Meister gedacht ist, wie er-
greifend er in wenigen Zügen den ganzen geistigen Inhalt der Hand-
lung entfaltet hat, das brauche ich kaum zu bemerken." Für Tizians
Kunstauffassung ist es aber besonders von Bedeutung, wie er die
landschaftliche Umgebung zur Handlung zu stimmen gewusst hat, so
dass der Eindruck wesentlich mit auf diesem Elemente beruht. Diese
hohen mächtigen Bäume, die fern sich hinziehende Hügellandschaft,
die von scharfen Lichtern erhellt wird, das Alles ist hier mit einer
Freiheit dem Hauptzweck dienstbar gemacht, wie sie vor Tizian keiner,
wenige nach ihm besessen haben.
Um 1530 finden wir Tizian auf der vollen Höhe des Ruhms und
der Meisterschaft, auf welcher er in unablässigem Schatfensdrang und
jugendlicher Frische noch lange verweilen und eine Reihe von Werken
hervorbringen sollte, in denen seine edle Kunst den mannigfachsten
Aufgaben in hoher Freiheit gerecht zu werden wusste. Inls Jahr 1531
fallt die Entstehung der berühmten Magdalena, deren Beliebtheit durch
eine erstaunliche Zahl von Wiederholungen bezeugt wird. Er malte
dieselbe für Federigo Gonzaga von Mantua, der ausdrücklich den Wunsch
aussprach, „dass dieselbe so schön, aber auch so thränenvoll wie mög-
lich werde". Das Bild, welches jetzt sich in der Galerie Pitti be-
findet, ist zwar nicht mit Bestimmtheit als das erste Exemplar nach-
zuweisen, aber es verräth wenigstens in dem thränenvollen Aufblick