Tizian.
Martyr.
Petrus
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h. Sebastian und im Hintergrunde S. Rochus; darüber in zwei oberen
Tafeln die Verkündigung mit einer besonders schönen Madonna. Da-
gegen ist der emporschwebende Christus etwas zu unruhig und auch
die empfindungsvolle Gestalt Sebastians ist so stark verkürzt und be-
wegt, dass man fast an Üorreggio erinnert wird. Das Werk hat übrigens
gelitten; trotzdem erkennt man die Hand des Meisters, namentlich an
der prachtvollen Stifteriigur, deren energische Auffassung an Giorgione
gemahnt.
Ein anderes Altarwerk vom Jahre 1523, ehemals in S. Niccolo
de' Frari zu Venedig, jetzt in der Galerie des Vatikan, stellt die auf
Wolken thronende, von Engeln umschwebte Madonna dar, die von
sechs Heiligen, Sebastian, Franziskus und Antonius, Petrus, Ambrosius
und Katharina verehrt Wird. Der feierliche Zusammenklang grossartiger
Gestalten, der imposante Aufbau des Ganzen und die herrliche Kraft,
Weichheit und Tonfülle des Kolorits verleihen diesem wieder mit des
Meisters Namen bezeichneten Bilde einen hohen Bang; besonders aber
ist die Gestalt Sebastians wegen ihrer ausdrucksvollen Natürlichkeit
stets hoch gepriesen worden.
Wenige Jahre später (1530) schrieb die Bruderschaft des Petrus
Martyr eine Konkurrenz zur Beschaffung eines neuen Altarbildes für
ihre Kapelle in S. Giovanni e Paolo aus. Palma (kurz vor seinem
Tode), Pordenone und Tizian bewarben sich um die Ausführung; der
letztere trug den Sieg davon. S0 entstand jenes Wunderwerk, welches
sich bis auf den unseligen Brand des Jahres 1867, der es vernichtete,
im Besitz dieser Kirche befand, nachdem es gleich so vielen anderen
Kunstwerken Italiens Während der napoleonischen Herrschaft die zu-
sammengeraubte Sammlung des Musee Napoleon eine Zeitlang ge-
schmückt hatte.
Wenn man einen Blick auf die mächtige Composition wirft,
(Fig. 126), so ist der Inhalt derselben in seiner allgemein menschlichen
Gewalt so ergreifend, dass man kaum auf den Einfall kommt, zu fragen,
welcher specielle Vorfall sich hier begiebt. Genug, ein Wehrloser,
dazu ein Mann Gottes, wird hinterrücks von Mördern überfallen und
erschlagen. Was kümmert es uns zu wissen, dass dieser heilige Petrus,
welcher vorzugsweise nder Märtyrer" genannt wird, im Jahre 1202
geboren ward, als Mitglied des Dominikaner-Ordens zu hohem Ein-
fluss gelangte, in Oberitalien vom Papst zum Grossinquisitor und
Ketzerrichter gegen eine Sekte der Manichäer ernannt wurde und im
Jahre 1252 auf der Strasse von Como nach Mailand durch gedungene