Tizian.
Bildnisse Laviniaüs.
Assunta.
541
wobei es mit 400 Pfund bezahlt wurde, nach London in die Sammlung
des Lord Cowper. Auf dieser Wiederholung hat der Künstler dem
Mädchen statt der Fruchtschale ein reich mit Edelsteinen geschmücktes
Kästchen in die Hand gegeben.
Merkwürdiger als alle diese Bilder ist eine dritte Wiederholung,
welche sich im Museum zu Madrid befindet. Hier ward das Genre-
motiv zur historischen Scene, die Tochter Tiziaifs zur Tochter der
Herodias, und die Früchte in der Schüssel verwandelten sich in das
bleiche blutige Haupt des Johannes. In Üebereinstimmung damit hat
der Künstler auch die Tracht geändert und anstatt des venezianischen
Kostüms eine freiere, idealere Gewandnng gewählt. Der Contrast der
jugendlich üppigen Schönheit mit dem schauerlichen Todtenantlitz des
Bussepredigers muss einen dämonischen Eindruck hinterlassen. Solche
Stoffe stehen aber hart auf der Grenze des ästhetisch Erlaubten. Wer
die einfache Schönheit ohne Nebenbeziehungen, ohne den pikanten
Gegensatz einer so grausigen Zuthat zu geniessen weiss, der wird dem
Berliner Bilde den Vorzug geben.
Noch einmal kehrt dieselbe Dame in dem anmuthigen Bilde der
Galerie zu Dresden wieder, welches das junge Mädchen im weissen
Kleide mit einem Fächer in Form eines Fähnchens in der Hand darstellt.
Das frische Gesicht mit dem schelmischen Seitenblick der funkelnden
Augen zeigt denselben Charakter jugendlicher Unbefangenheit.
In die mittlere Zeit Tizian's fällt nun eine Reihe grosser Altar-
tafeln, in welchen er sich auf der vollen Höhe der Meisterschaft zeigt
und wahre Wunderwerke der vollendeten Malerei hervorgebracht hat.
Den Anfang machte die berühmte Himmelfahrt Maria, welche 1516
für den Hochaltar der Kirche S. Maria de' Frari bestellt und 1518
vollendet wurde. Für die hohe Stellung, welche es dort hatte, ist
offenbar auch der Augenpunkt des Gemäldes berechnet. Gegenwärtig
besitzt die Sammlung der Akademie an dieser Meisterschöpfung ihr
gefeiertes Hauptwerk. Die Gluth und Frische der Behandlung, die
Gediegenheit in allen Theilen der Durchführung, die liebevolle Sorg-
falt der Vollendung spricht in der That für die besten Mannesjahre
seines Lebens. Das Gemälde zerfällt in zwei Gruppen, die aber mit
hoher Kunst zu einer einzigen verschmolzen sind. Oben erblickt man
in einer himmlischen Glorie, umiiossen von Strömen eines wunderbaren
Lichtes, die Madonna zum Himmel aufschwebend. Ein rothes Gewand
umgiebt ihre majestätische Gestalt, die durch den weit wie ein Segel
ausgespannten dunkelblauen Mantel noch mächtiger gehoben wird.