540
Buch.
Kapitel.
XII.
Venezianer.
Die
Serravalle vermählte, hat der Meister mehrmals gemalt, zunächst in
dem schönen Bilde aus seiner späteren Zeit, welches dem Museum zu
Berlin angehört. Das schöne Mädchen, eine üppige, reife und doch
ganz jungfräuliche Gestalt, hat dem Beschauer halb den Rücken zu-
gekehrt, wendet sich aber mit dem elastisch zurückgeworfenen Kopfe
nach ihm hin. Dabei biegt sich der Oberkörper nach hinten, weil sie
in beiden hoch erhobenen Händen eine schwere silberne Schüssel mit
Früchten emporhält. In diesen Gegensätzen der Bewegung liegt ein
Rhythmus, ein Schwung der Linien und dabei eine Naivetät und-
Absichtslosigkeit, wie nur die feinste Beobachtung sie in glücklichem
Momente der Natur abzulauschen vermag. Das Gesicht, das sich wie
fragend mit den grossen dunklen Augen an uns wendet, ist mit seinem
feinen Oval, den schwellenden Lippen, dem lockigen Goldhaar, das ein
Diadem umspannt, ein Typus der verführerischen Frauenköpfe, wie sie
uns so oft auf venezianischen Bildern begegnen. Wie oft mag dieses
anmuthige Antlitz den Meister zu seinen herrlichsten Schöpfungen
begeistert haben! Fast nicht minder anziehend sind die Hände, leicht,
zierlich und vornehm gebildet, wie es in Italien selbst bei den Frauen
des niederen Volkes die Regel ist. Dabei erscheint die Oarnation hier
wieder im höchsten Zauber eines sonnig warmen Goldtones, der fast
unmerklich mit kühleren Halbschatten sich verbindet und so eine
vollendete Modellirung der Formen ergiebt. Die Thaufrische jugend-
licher Kraft und Schönheit liegt wie ein durchsichtiger Schleier über
der ganzen Erscheinung. Ein gelbes Damastgewand mit grossen Blumen-
mustern umschliesst den Körper fast gar zu stofflich derb und schwer.
Darüber fallt ein schleierartiger Üeberwurf herab, der den prächtigen
Nacken frei lässt. Tizian hat alle Zufälligkeiten der Zeittracht bei-
behalten und sie durch die schlichte Behandlung zum kräftigeren Hervor-
heben der Hauptsache benutzt. Ueberhaupt ist das Energische, Markige,
fast Untersetzte der Gestalt unbefangen betont, aber durch die Elasti-
zität und Anmuth der Bewegungen zum Ausdruck der Schönheit erhöht.
Der dunkelrothe Vorhang und die vorspringende Mauerecke dienen
treiflich zur Steigerung, indem sich die Gestalt um so wirksamer von
ihnen absetzt; eine weite hügelige Landschaft schliesst das Ganze heiter ab.
Das reizende Bild muss schon zu Tizian's Zeiten grossen Beifall
geerntet haben, denn der Meister hat es mehrmals wiederholen müssen.
Das Original im Berliner Museum gelangte 1832 aus der Sammlung
des Abbate Oelotti dahin. Ein zweites Exemplar befand sich ehemals
in der Galerie Orleans und kam bei der Versteigerung der Sammlung,