Tizian.
Bilder.
Mythologische
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zu entwerfen. Dies ist das herrliche, jetzt im Museum zu Madrid
befindliche Bild. In einer Landschaft von südlicher Üeppigkeit hat
das ausgelassene Gefolge des Bacchus sich den Freuden des lyäischen
Gottes hingegeben. Satyrn und Nymphen sieht man im zwanglosen Ge-
nuss bacchantischer Wonne, theils stürmisch erregt, theils in ruhigerem
Behagen; vor Allem fällt aber eine herrliche weibliche Gestalt auf,
die im Vordergrunde rechts ausgestreckt liegt und die schönen, vom
Rausch und Schlummer gelösten Glieder unverhüllt dem Beschauer
darbietet. Es ist eins der wonnigsten Gebilde, welche Tizian geschaffen,
in dem feinen Bau und dem rhythmisch bewegten Linienzug der Glieder
an die Schöne auf dem Bilde der himmlischen und irdischen Liebe
erinnernd. Die Sorgfalt der Ausführung und das goldig klare Kolorit
bezeichnen die volle Jugendfrische des Künstlers. Das zweite dieser
Bilder, welches dieselbe Sammlung bewahrt, ist das Fest der Venus.
Man sieht in einer herrlichen Landschaft die Statue der Venus, welcher
als der Göttin der Fruchtbarkeit junge Mädchen ihre Verehrung be-
zeugen. Den ganzen Vordergrund füllt ein dichtes Gewimmel reizen-
der nackter Kinder und geflügelter Genien, welche in entzückender
Lust sich durch einander tummeln und nach den Aepfeln haschen,
welche ihre Gespielen pflücken und herabwerfen. Es ist eine Schil-
derung, die auf einer Stelle Philostrats beruht. In diesen Scenen des
anmuthigsten natürlichen Lebens hat Tizian einen Reiz entfaltet wie
kein anderer Künstler. An diesen Werken hat Rubens sich zu seinen
lebensprühenden Kinderdarstellungen begeistert, wie denn auch der
übernaive Kleine auf dem Bacchanal ein Motiv bot, welches die derbere
ilandrische Kunst mit besonderer Vorliebe aufgegriffen hat. Auch dieses
Bild ist in goldig klaren Tönen mit höchster Sorgfalt durchgeführt.
Zu gleicher Zeit und auf dieselbe Veranlassung entstand das herrliche
Bild von Bacchus und Ariadne, welches sich jetzt in der National-
galerie zu London beiindet. Das Bild schildert in einer malerischen
Uebertragung der catullischen Dichtung, wie der Gott mit seinem Ge-
folge von Satyrn und Mänaden auf seinem von Leoparden gezogenen
Wagen daherkommt und plötzlich die vor ihm fliehende Ariadne ge-
wahr wird. Rasch verlässt er seinen Wagen, um die Schöne, welche
man links von der Rückseite sieht, zu ereilen. Die wunderbare Poesie,
mit welcher hier Gestalten vor uns hingezaubert sind, die in freier
Schönheit den Geist der antiken Kunst wiedergeboren zeigen, die aus-
drucksvolle Lebendigkeit der Bewegungen, namentlich der fliegende
Eilsprung des Gottes, voll Kühnheit, aber auch vom höchsten Reiz in