Buch
Kapitel.
da Vinci.
Lionardo
Gewandstudien aus jener Zeit ist uns Manches erhalten; so, um nur
ein Beispiel hervorzuheben, die köstliche in Oel auf Leinwand ausge-
führte Draperie in derselben Sammlung (Br. 180), deren Verwandtschaft
mit der Madonna auf dem Verkündigungsbilde von Monte Oliveto wir
anderwarts nachgewiesen haben. Andre Gewandstudien von ähnlicher
Vollendung finden wir im Louvre (Br. 182) und in den Üfhzien (Br.
430. 431. 437. 447). Auf solche Zeichnungen beziehen sich Vasarifs
Bemerkungen über die Art von Lionardds Studien: „Bisweilen formte
er Modelle verschiedener Figuren in Erde, legte darüber weiche in
Gips getauchte Lappen und mühte sich mit äusserster Geduld, sie auf
ganz feine oder schon gebrauchte Leinwand nachzuzeichnen, indem er
sie schwarz und weiss mit der Spitze desPinscls bewundernswürdig
ausführte." Und mit Recht fügt Vasari hinzu: „Auf Papier zeichnete
er so fleissig und sauber, dass keiner ihn hierin je an Zartheit erreicht
hatff Wie er dabei stets bemüht war, mit den einfachsten Mitteln
der Zeichnung den Gegenständen die vollkommenste Rundung zu. geben,
und wie er in Ausbildung des Helldunkels alle Zeitgenossen übertraf,
beweist jede seiner zahlreichen Zeichnungen. In diese frühe Zeit des
Meisters würde auch die grosse auf grünem Papier ausgeführte Ma-
donna iin Britischen Museum (Br. 45) zu setzen sein, wenn nicht der
unschöne Typus des Kopfes und die krampfig gekrümmten Hände
eher auf Verrocchio deuteten.
Aber die bildenden Künste allein vermochten, wie gesagt, den
rastlosen Geist dieses ausserordentlichen Mannes nicht zu befriedigen.
Ebenso eifrig widmete er sich seinen mathematischen und physikalischen
Studien, seinen mechanischen und hydraulischen Arbeiten. Er entwarf,
wie Vasari berichtet, zahlreiche Zeichnungen zu Bauwerken aller Art,
zu Mühlen, Walkmühlen und andern durch Wasser getriebenen Ma-
schinen; nicht minder war er unermüdlich, Modelle und Zeichnungen
zu entwerfen, um Berge abzutragen und zu durchbrechen, um Seehäfen
zu reinigen und durch Pumpen Wasser in höher gelegene Gegenden
zu bringen, auch mit Winden, Haspen und Schrauben bedeutende
Lasten zu heben. Besonders beschäftigte ihn der Plan, den Arno von
Florenz bis Pisa zu kanalisiren und dadurch schiffbar zu machen; ja
ihm schien es nicht unmöglich, das Baptisterium S. Giovanni, welches
durch die allmähliche Erhöhung des umgebenden Platzes etwas einge-
sunken erscheint, empor zu heben und ihm einen Stufenbau unterzu-
schieben. Man kann sagen, dass das ganze Gebiet der Natur ihm
schon damals Gegenstand der Forschung und Untersuchung war,